a, was krabbelt denn da aus meiner schönen, warmen Yoga-Decke heraus? »Marienkäfer! – bringt das Glück? Wer weiss – ein Glück nur, dass euch beiden nichts geschehen ist. Nun denn, was mache ich mit euch? Ihr wolltet sicher überwintern.«
Was macht der kluge Mann in dieser Lage?
Ein Tier im Schuhkarton wird schnell zur Plage.
Und Zweie erst, in meinem Haus,
nein, nein, ich setz’ euch lieber aus.
Das Tierheim ist eh übervoll,
Herrgott, sag’ was ich machen soll!
Nach einigem Hin- und Her, und nach dem Durchspielen möglicher Alternativen setze ich die kleinen, zappelnden Käfer behutsam auf die Terrasse – es hat Frost gegeben, heute morgen — und übergebe sie somit dem Kreislauf der Natur. Bald werden sie erfroren sein, die Armen! Mein Mitgefühl, das haben sie, doch leiden, nein — das tu ich nicht.
Wie steht’s mit Ihrer Mitleidspflicht?
Vor allem Kindern und Frauen fällt es nicht leicht, in derartigen Situationen objektiv zu bleiben. Mitleiden, wenn andere leiden? Hilft’s denn, das Leid der Welt zu mindern? Wie sagen wir doch so schön: »Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
Geht diese Gleichung auf? Dann müsste doch geteilte Freude halbe Freude sein. Unfug. Rein mathematisch betrachtet, verdoppelt das Mitleiden das ursprüngliche Leid. Leiden plus Leiden ergibt zweifaches Leid. Freuen plus Freuen ergibt zweifache Freude. Das gehört nun mal zum kleinen Einmaleins, obwohl es in der Grundschule noch immer nicht gelehrt wird.
Und falls sich Widerspruch in Ihnen regt: Mitleid und Mitgefühl sind durchaus nicht dasselbe. Wenn ich über Einfühlungsvermögen verfüge, so kann ich einem Menschen Mitgefühl entgegenbringen und ihm Trost spenden, ohne angesichts seiner Situation zu leiden. Bleibe ich innerlich vollkommen objektiv, so darf ich auch erkennen, ob Hilfe angebracht ist, und wenn ja, in welcher Form – denn Hilfe muss immer Anleitung zur Selbsthilfe sein, sonst hat sie keinerlei Wert.
Unsere Welt ist so angelegt, dass wir in vielerlei Entscheidungssituationen Objektivität entwickeln können. Da gibt es Prüfungen mit verletzten Tieren, da sitzen Bettler auf der Straße, da schauen uns schwarze Kinder mit aufgeblähten Bäuchen aus Plakaten entgegen, und allerlei anderes mehr. Wo man hinschaut, so viel Leid! Da hat es eine Kamera doch gut, denn die ist objektiv. Sie macht sich von der Situation ein Bild, klick, fertig, Schluß, und aus. Nicht mehr und nicht weniger. Keine Emotionen. Sie leidet nicht. Auch Gott, unser Schöpfer und Erhalter, leidet nicht. Er ist die vollkommene Objektivität – und die vollkommene Liebe, die keine Forderungen stellt. Seine Selbstlosigkeit kennt keine Grenzen, und deshalb hat er uns die Erde als „Bühne” zur Entfaltung unserer seelischen Werte geschenkt.
Objektivität ist die wichtigste Grundlage für uns Menschen, um das Leid auf der Welt zu vermindern. Verharren wir in Emotionalität und Mitleid, so gibt’s von oben nur eine Devise: »Mehr davon!« — denn Leidenschaft war schon immer das, was neues Leiden schafft. Verstehen Sie mich nicht falsch, Objektivität entwickeln bedeutet nicht, seine Gefühle einzubüßen — ganz im Gegenteil; doch werden sie viel ruhiger, transparenter, und angenehmer. Eine wunderbare innere Klarheit geht mit ihnen einher, und es fällt uns dann viel leichter, in der Balance zu bleiben — oder, wenn wir sie einmal verlieren sollten, wieder in unsere Mitte zurückzukehren.