er Mensch geht für gewöhnlich durch sein Leben, ohne sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie das, was er in sich und um sich herum erlebt, im Einzelnen funktioniert. Er begnügt sich damit zu erleben, dass es funktioniert. Und lange Zeit kann das auch gutgehen. Doch was geschieht, wenn er wie aus heiterem Himmel außer Gefecht gesetzt wird? Dann merkt er plötzlich, dass nicht eine einzige Lebensfunktion selbstverständlich ist. Und auf einmal ist Dankbarkeit kein leeres Wort mehr.
Zweimal bin ich in eine derartige Situation geraten. Einmal, vor Jahren, erwachte ich und stellte fest, dass ich keinen Geruchssinn mehr hatte. Nichts, keine Düfte, weder Rosen, noch Gewürze, noch den frisch gefangenen Fisch am Hafen – einfach tot, die Nase. Ich war zu der Zeit auf der Insel Ischia im Golf von Neapel, und dort gibt es einen herrlichen Garten mit exotischen Pflanzen, ein Vermächtnis des englischen Komponisten Sir William Walton. Ich weiss noch genau, wie das war: mich über die in verschwenderischer Pracht blühenden Orchideen zu beugen, mit der Nase tief einzuatmen, und — nichts. Ich wollte zuerst einmal nicht mehr leben. Dann, nach einigen Tagen, begriff ich, um was es ging, und ich verwandelte die Situation in einen Lebenswunsch: so will ich nicht mehr leben. Und ich begann, mir diese kostbare Leihgabe, unseren Körper, mehr und mehr zum Freund zu machen – auf dass er mich ein ganzes Leben zuverlässig unterstütze und begleite. Wie es ist, wenn der Körper nicht mehr reibungslos funktioniert, das hatte ich in den 14 Tagen ohne Geruchssinn überdeutlich erfahren – keine Freude, keine Farben, alles grau, fade, eintönig.
Und nun, knapp eine Woche ist es her, konnte ich mit dem linken Ohr nichts mehr hören. Einfach taub, wie unter einer Glocke. Panik, Wochenende, Tinnitus, Hörsturz, Mittelohrentzündung? Zuerst einmal herrschte völlige Verzweiflung und Ohnmacht in mir. Und immer wieder Schmerzen, stechend, im Ohr. Und dann noch Orgeldienst am Sonntagmorgen. Eine Qual, heilloses akkustisches Durcheinander mit stark reduziertem Hörvermögen. Und dann die Bilder, die ins Bewußtsein drängen: ein Kollege von der Musikschule, mit Tinnitus schon länger als ein halbes Jahr krank geschrieben — ich war völlig hilflos. Besonders beim Erwachen am Morgen fühlte sich das Ohr so an, als ob es gar nicht mehr vorhanden wäre; wie in ein dickes Wattepolster eingepackt, schirmte es mich von der Außenwelt hermetisch ab. Doch dann bemerkte ich, dass sich der Zustand leicht veränderte, je nachdem, was ich gerade tat. Saß ich beim Essen, öffnete sich leicht das Ohr. Ging ich ausgedehnt im Wald spazieren, wurde es besser. Zumindest die tiefen Frequenzen waren wieder da, doch nicht der Gesang der Vögel, oder das Rauschen der Blätter im Wind. Am Folgetag wurde mir bewußt, dass das Stechen im Ohr immer dann einsetzte, wenn ich etwas bestimmtes tun sollte. Ein Glas Wasser trinken, beispielsweise. Oder auf die Toilette gehen, um die Blase zu entleeren. Oder die Arbeit unterbrechen, um alle Gliedmaßen einmal tüchtig durchzustrecken. Und so fiel es mir wie Schuppen von meinen Augen: „wer nicht hören will . . . ” - jeder kennt das
Sprichwort. Und es weckte einen tiefen Wunsch in mir:
„Ja, ich möchte wieder hören! Bitte helft mir! Was ist
jetzt wirklich zu tun?” – immer wieder von neuem, un-
ablässig, bittend und bettelnd; so bat ich Stunde um Stun-
de um Führung und eine deutlichere Intuition. Und siehe da,
ich spürte eine enorme Kraft, die nicht nur meinen Körper durchdrang, sondern auch meinen Geist erhob, und ihn mit neuem Leben füllte. Seither habe ich begonnen, wieder intensiv positive Wünsche zu äußern. Längere Zeit hatte ich nicht die Kraft dazu – jetzt ist sie wieder da, und mit dem Wünschen kommen auch die höheren Frequenzen zurück; ich könnte heulen vor Freude und Glück, wie interessant es alleine nur ist, die alltägliche Geräuschkulisse wahrzunehmen.