o hatte es, auf englisch natürlich, irgendjemand mit einem Stück Seife auf den Spiegel einer New Yorker Bar geschrieben. Das war mitten in den wilden 50er-Jahren, Graffitis, Petticoats und Rock’n’Roll kamen in Mode, und Edward Albee, der sich im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village mit allerlei Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, trank just an jenem Abend in besagter Bar ein Bier. Das Seifengraffiti, das er im Spiegel nächtens las, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Doch warum es ihm begegnet war, wurde ihm erst Jahre später bewusst. Er hatte ein Theaterstück geschrieben, für das er einen Titel benötigte. Er dachte an den Songtitel „Who’s Afraid of the Big, Bad Wolf?” aus dem Disney-Film „Three Little Pigs” (1933), doch bekam er keine Genehmigung.
»Was tun? – Das Seifengraffiti! Die Rettung in der Not . . .«
Immerhin klang „Woolf” genauso wie „Wolf”, und wer konnte es schon wissen, vielleicht verhalf ihm der bekannte Name gar zu einem Popularitätsschub. Und so ging im Jahr 1962 ein Theaterstück mit dem Titel „Who’s afraid of Virginia Woolf?” über die Bühne. Es wurde Edward Albees Erstlingserfolg, und zugleich sein internationaler Durchbruch als Theaterschriftsteller; darüberhinaus provozierte sein Stück einen der großen Skandale der Theatergeschichte.
Und das alles wegen einem Stückchen Seife? Nein, nein, Seifenkomödien mit bitterem Beigeschmack gibt es ja schon sehr viel länger, doch so erbarmungslos wie Albee hatte noch kein Dramatiker zuvor dem Publikum den Spiegel ins Gesicht gehalten. Mit kühl distanziertem Blick entlarvte er die trügerische Fassade der amerikanischen Upperclass – dessen ureigenstes Kind er als Adoptivzögling eines steinreichen Theaterunternehmers war.
Zum Titel äußerte sich Albee einmal folgendermaßen: „Natürlich bedeutet »Who’s afraid of Virginia Woolf?« – »Who’s afraid of the big bad wolf?«: Wer hat Angst, ein Leben ohne falsche Illusionen zu leben. Und es erschien mir wie ein typischer, intellektueller Collegewitz.”
Kein Wunder, dass es zwei Professoren samt ihren Gattinnen sind, die zu nächtlicher Stunde, mit vom Alkohol entblößter Zunge, ihre zerrütteten Ehen demontieren, bis zum bitteren Ende.
Virginia Woolf suchen wir übrigens in Albees Theaterstück vergeblich. Und doch ist es aufschlussreich, dass sie als Namensgeberin Pate stand, entschlossen und aufrecht, wie einst Jeanne d’Arc, denn sie lebte ihr Leben ohne falsche Illusionen. Immer mehr drängt ihre Bedeutung als Schriftstellerin ins Bewusstsein der Menschen, doch wenige wissen, wie die unerbittliche Suche nach dem rechten Wort ihren Lebensalltag bestimmte:
„How can we combine the old words in new orders so that they survive, so that they create beauty, so that they tell the truth?”
Diese Fragestellung peinigte und marterte sie zu jeder Stunde — doch die Gewissenhaftigkeit, mit der sie zu Werke ging, nahm mit den Jahren noch zu. Berufen war sie, ihrem Genius etwas noch nie Dagewesenes abzuringen, und so diente sie ihm demütig bis zur letzten, erschütternden Konsequenz. Was macht indess ihr schriftstellerisches Werk so außergewöhnlich?
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