estern zog es mich hinauf, auf die lieblich gewellte Ebene des Heckengäus, das sich wie ein nachlässig hingeworfenes Tischtuch bis hin zu den Wipfeln der aus schattigen Tälern aufragenden Schwarzwaldtannen ausbreitet. So sog ich den würzigen Duft eines klaren Herbstmorgens ein, und erfreute mich an der Sonne, die an einem makellos blauen Bilderbuchhimmel emporstieg. Des öfteren mag ich hier verweilen – erinnern mich die sanft geschwungenen Hügel doch an die Ideallandschaften Italiens, wie wir sie in der Toskana, in Umbrien oder im Latium finden.
Eine typische Eigenart des Heckengäus sind seine Hecken – wer hätte das gedacht? Sie bieten einer Vielzahl seltener Pflanzen- und Vogelarten Lebensraum. So durchquert man immer wieder Naturschutzgebiete; lichte Mischwälder wechseln sich ab mit Streuobstwiesen, und gelegentlich radelt man an einer Schafherde vorbei. Die Schafbeweidung fördert die Erhaltung einer uralten Kulturlandschaft, die ohne Hege und Pflege in kurzer Zeit von Bäumen überdeckt wäre. Vorbei geht es an Weißdornhecken, an Sanddornbüschen und Schlehenbäumchen, und unvermittelt trete ich auf die Bremse: da prangen nachtblaue Früchte an flechtenbehangenen dürren Ästchen, die unter ihrer schweren Last schier zu brechen drohen; sie gehören zu einer Reihe wilder Zwetschgenbäume, die vom Heckengewirr umschlungen sind. Der ganze Boden ist voll, wie Ostereier liegen die süßen Früchte unter Grashalmen und verdorrten Blättern versteckt. Niemand hat sich die Mühe gemacht, sie aufzulesen. Erde zu Erde, Staub zu Staub – die Zwetschgen den Würmern? Ich bücke mich nieder, und fülle mit der eingesammelten Ernte meine Gepäcktasche; es ist ein winziger Bruchteil dessen, was noch auf dem Boden verbleibt. Die Würmer werden nach wie vor einen reichlich gedeckten Tisch vorfinden!
Sich bücken ist ein Zeichen von Demut. Der Bauer duckte sich einst im Frühjahr tief in seine Ackerfurche, um zu pflanzen, und noch einmal, tiefer noch, im Herbst vor dem Landvogt und dem Steuereinnehmer, um ihnen das zu geben, was man einen Zehnt nennt. Noch heute finden wir in alten Dörfern Zehntscheuern, und manche von ihnen sind hübsch herausgeputzt. Der zehnte Teil der Ernte, der zehnte Teil des Einkommens – das ist der Anteil, den man leicht entbehren kann, und der sich seit biblischen Zeiten wohl bewährte – warum haben wir denn heute diese Richtschnur so sehr aus den Augen verloren? Man kann die Kuh nur melken, solange sie gut im Futter steht – doch dann entwickelt sie einen mächtigen Appetit. Und nun? Jetzt stehen wir vor leeren Trögen. Sind daran nicht vor allem unsere überzogenen Wünsche und Forderungen schuld? Müssen wir nicht wieder von neuem lernen, eigenverantwortlich zu leben und zu handeln? Bescheidenheit ist eine Zier. In Zeiten wie der unsrigen sollten wir den Blick für das Wesentliche schärfen. Gesundheit und Zufriedenheit, das wär schon was; Glücklich sein und Lebensfreude, wenn’s denn ein bißchen mehr sein darf. Von staatlichen Händen sanft durchs Leben getragen, von der Wiege bis zu Bahre, from the cradle to the grave — diese Zeiten sind, gottlob, vorbei. Bücken Sie sich, sammeln Sie Fallobst¹ auf und verwerten es, denn dann bauen Sie an Ihrer eigenen Gesundheitsvorsorge; Ihr Rücken wird schön elastisch dabei; geschmeidiger, als ihn ein Physiotherapeut jemals hinzubiegen vermag. Das untergegangene Atlantis hat es uns vor Augen geführt: wird es dem Menschen in seiner Haut zu wohl, so wird die Seele träge, und macht zu wenig Fortschritte. Prüfen Sie einmal beim nächsten Spaziergang, was in Ihnen vorgeht, wenn Ihr Blick einen am Wegrand liegenden, rot eingefärbten Apfel streift. Was sind Ihre ersten Gedanken? Geringschätzung oder Wertschätzung? Dankbarkeit und Demut entwickelt leichter derjenige, der Entbehrung geschmeckt hat. Wären Sie bereit, den Apfel aufzulesen? Wer sich dazu überwinden kann, steht jederzeit unter Schutz – er wird nie Hunger leiden, was auch immer in diesen Zeiten des Umbruchs geschehen mag. ¹ Nach meiner Information ist laut Gesetz ab erstem November das Fallobst von Streuobstwiesen Eigentum desjenigen, der es aufliest (Baden-Württemberg). Möglicherweise gelten in anderen Bundesländern andere Bestimmungen.