• Wie entsteht positive seelische Intelligenz? (II) •


Teil II

eiter geht es mit Teil II, nachdem wir bereits im ersten Teil gesehen hatten, dass der aufrichtige Wunsch und die tägliche Bitte die Grundbedingungen für mehr positive Intelligenz sind. Heute dominiert nun mein Lieblingsthema – will heißen „Mut”. Mut tut gut, das wissen wir. Doch was ist Mut denn ganz genau: Übermut? Wagemut? Hochmut? Wankelmut? Langmut? Ein Wort ist’s, das bislang noch fehlt: die Demut gibt dem Auf und Ab des Lebens erst Balance. Mit Demut kommen wir der Sache langsam, aber sicher, näher.

Am vorletzten Sonntag ergab sich für mich die Gelegenheit, einiges zum Thema „Mut” – was auch mein Tagesthema war – hinzu zu lernen. Ich hatte eine Orgelvertretung zu spielen, und konnte während des Gottesdiensts beobachten, wie eine ganze Gemeinde von der übergeordneten Intelligenz im Universum geschult wird. Das Schulungsziel: die Gottesdienstbesucher auf die entscheidende, und sorgfältig geplante Mutprüfung gegen Ende des Gottesdiensts vorzubereiten. Die Belohnung für das Bestehen dieser Mutprüfung: mehr positive seelische Intelligenz!

Derartige Zusammenhänge erschließen sich natürlich erst im Nachhinein, und so will ich erst jetzt – nach über einer Woche des Nachsinnens – darüber berichten, wie das Ganze vor sich ging. Auch wenn die Schlussfolgerungen nicht so leicht bekömmlich sind – Medizin schmeckt nun einmal recht bitter – so bleibt abzuwarten, ob nicht dem Einen oder Anderen nach dieser Lektüre ein Licht aufgeht :idea: .

Szenenwechsel, der Sonntagvormittag in der Rückblende

Der Prädikant, ein angehender Pfarrer, jung und voller Elan, kommt auf die Orgelempore. Er begrüßt mich. Er strahlt, und seine Augen funkeln. Ein Leuchten geht über sein Gesicht. Kein Zweifel: da kommt jemand, der von seiner Sache überzeugt ist. »Sie begleiten heute unsre Lieder?« – »Und Sie begleiten heute unsre Gemeinde?« Wir lachen herzlich. Gegenseitige Sympathie. Ablauf wie gewöhnlich. Es kann beginnen . . .

Auszug aus dem Wochenpsalm: „Unser Herr ist groß und von großer Kraft, und unbegreiflich ist, wie er regiert . . .”

Der Predigttext ist der Apostelgeschichte entnommen, die Bekehrung des Saulus (APG 9, 1-19). Es gibt zwei Protagonisten in dieser Geschichte, Hananias und Saulus (der spätere Paulus). Der Prädikant stellt eine provozierende Frage:

»Warum ausgerechnet der?«

Warum schickt Gott Hananias, einen seiner treusten Diener, ausgerechnet zu dem gefürchteten Saulus, der gegen alle, die sich zu Jesus bekennen, mit Gewalt vorgeht? Hananias erfährt im Zwiegespräch, dass Gott Saulus als sein Werkzeug auserwählt hat, seinen Namen vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel zu tragen (Vers 15).

Hananias ist demütig. Er lässt sich bereitwillig dahin führen, wo Gott ihn haben will: in das Haus, in das Saul, von Gottes Lichtblitz zu Boden geworfen, von seinen Helfershelfern geführt wurde. Dort sitzt er nun, und weiß nicht, was geschehen wird. Er wartet, nichts sehend, nichts essend, nichts trinkend, schon seit drei Tagen.

Hananias tritt ein und legt ihm die Hände aufs Haupt: »Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt . . . dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllet werdest.«

Saulus ist ein anderer geworden: er ist wie ausgewechselt. Aus Saulus wird Paulus, fortan die treibende Kraft in der Sache Gottes.

Ich kenne keine Geschichte, die das Thema „Mut” eindrücklicher vor Augen führt, als diese Begebenheit aus der Apostelgeschichte. „Mut” wird von zwei gegensätzlichen Seiten beleuchtet. Hananias und Saulus spiegeln jeweils eine dieser Seiten wieder, doch beide Seiten wohnen jedem richtig gearteten seelischen Mut inne.

Hananias

  • Er soll zu seinem ärgsten Widersacher gehen: eine Aufforderung, die ihm alles abverlangt.
  • Ungewissheit und innere Zweifel stehen dem vollkommenen Vertrauen in die göttliche Führung gegenüber.
  • Durch Demut und Gehorsam entwickelt Hananias die notwendige innere Stärke.
  • Die unmittelbare Folge: mehr und mehr ruhige Gefühle der Geborgenheit und des Getragen Seins.
  • Conclusio:
    Ungewöhnliches wagen – aber nur, wenn die Intuition dazu rät.

Saulus – Paulus

  • Er ist zunächst völlig hilflos der Situation ausgeliefert: das macht ihn demütig.
  • Er erkennt in der Innenschau (Blindheit), dass sein bisheriges Leben verwerflich war, und schließt mit der Vergangenheit ab.
  • Er sagt sich von allem los, was ihm bisher wichtig war, und sagt »Nein« zu: Geld, gesellschaftlichem Ansehen, Einfluss und Macht.
  • Diese Standhaftigkeit hilft ihm später im Gefängnis, nicht den Mut zu verlieren.
  • Conclusio:
    »Nein« sagen können, wenn ein »Nein« erforderlich ist. Standhaft bleiben.

Für beide, Hananias und Paulus, gelten bedingungslos folgende
Charaktereigenschaften:

  • Geradlinigkeit
  • Standhaftigkeit
  • Aufrichtigkeit
  • Rückgrat zeigen können
  • Zähne zeigen können, falls erforderlich

Indikatoren bei andauernder Mutlosigkeit

  • Zahnprobleme
  • Rückenprobleme
  • Knieschlottern in dramatischen
    Entscheidungssituationen

Solche Probleme waren gewiss Hananias und Paulus Sache nicht!

Dem Prädikanten auf der Kanzel gelingt es, die Protagonisten zum Leben zu erwecken. Er kann begeistern, weil er selbst begeistert ist – das heißt, der Geist, der Heilige, kann in ihm wirken, weil er sich ihm geöffnet hat. Das überträgt sich auf die Zuhörer. Sie sind eingestimmt und vorbereitet. »Hananias und Paulus.«»Ja, die großen biblischen Gestalten!«»Hat das was mit uns zu tun?« Die Spannung steigt. Die Mutprüfung kann kommen.

Nach der Predigt geht es schnell dem Ende zu. Lieder singen, Vater Unser, Abkündigungen. Das Übliche. Veranstaltungshinweise, Einladungen, Dank an den Prädikanten, Dank an den Organisten. Auf einmal stellen sich die Ohren auf:

»Das Opfer der vergangenen Woche ergab . . . € und . . . Cent. Die heutige Kollekte ist für die Flutopfer in Pakistan bestimmt.«

Das war die offizielle Verlautbarung. Doch der Kirchengemeinderat fasst nach:

»Wie Sie alle sicher aus den Nachrichten wissen, ist das Ausmaß der Katastrophe viel größer als ursprünglich angenommen . . . «

In allen Farben schildert er die Einzelheiten. Eindringlich appeliert er an die Opferbereitschaft der Gottesdienstbesucher. Totenstille. Was jetzt wohl in jedem Einzelnen so vor sich geht?

Conclusio

Eine Woche später sitze ich wieder an der Orgel, und bekomme deshalb mit, wieviel die Gottesdienstbesucher letzte Woche gespendet haben. 50 Prozent mehr als gewöhnlich. Mutprüfung bestanden?

In der Zeitung lese ich, dass die Taliban mit Gewalt gegen die UN-Hilfsorganisationen drohen, weil aufgrund der Katastrophe „eine Horde von Ausländern” im Land sind. Das Kabinett beschwichtigt. Eine Million Euro Soforthilfe. Mitleid ist in unserer Gesellschaft Pflicht. Mutig sein hingegen nicht.

Was empfinden wir beim Anblick solcher Bilder? Wenn wir innerlich ruhig und unbelastet bleiben können, so sind wir weder gefühlskalt, noch egoistisch oder gar unmenschlich: vielmehr haben wir uns dann bereits ein hohes Maß an Objektivität verdient. Könnte Gott selbst solche Zustände ertragen, wenn er nicht in einer für uns unvorstellbar vollkommenen Weise objektiv wäre?

Das Einmischen in Angelegenheiten, die uns nichts angehen, sorgt für nahezu alle Schwierigkeiten auf dieser Welt. Es verhindert, dass Menschen lernen können, sich auf ihre eigenen Kräfte zu besinnen. Pakistan ist dafür ein sprechendes Beispiel.

Mutig „Nein” sagen zu können erfordert Stärke. Die gewinnen wir uns, wenn wir gegen den Strom schwimmen, wie es lebendige Fische tun. Wohin gelangen wir, wenn wir stromaufwärts schwimmen?

Zur Quelle! Zur Wahrheit! Zum Licht!

Erinnern wir uns an die Worte aus dem Wochenpsalm?

„Unser Herr ist groß und von großer Kraft, und unbegreiflich ist, wie er regiert . . . der den Himmel mit Wolken bedeckt und Regen gibt auf Erden . . .” (Psalm 147)

Und die massiven Regenfälle in Pakistan? Wechseln wir doch jetzt einmal den Standpunkt. Betrachten wir sie objektiv, und bar jeglicher Wertung. Was sind sie dann? Keine Katastrophe, sondern schlichtweg eine unfassbar weise Planung von höchster Stelle. Eine Vorbereitung für bessere Zeiten, denn Millionen von Menschen werden durch diese gewaltigen Naturereignisse geschult. Weitere derartige Ereignisse werden folgen, das sei verbürgt mit Brief und Siegel.

Und noch etwas: das Universum meint es gut mit uns. Es braucht uns Menschen mit mehr positiver Intelligenz. Und mit mehr Freude. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Das ist das kleine Einmaleins der Seele. Virginia Woolf schrieb hierzu:

»Anteilnehmen können wir jedoch nicht. Die so weise Schicksalsgöttin sagt „Nein”.

Wenn ihre Kinder, kummergebeugt wie sie bereits sind, auch diese Last noch tragen und in ihrer Vorstellung Anderer Leid ihrem eigenen hinzufügen müßten, so würden Gebäude nicht länger errichtet und Straßen in grasbewachsene Pfade auslaufen; das wäre das Ende von Musik und Malerei, und nur ein großer Seufzer würde zum Himmel aufsteigen, und Männern wie Frauen blieben einzig Schrecken und Verzweiflung.«

Wollen wir das?

Ende Teil II