lles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei . . . – so reimte einst schon Stefan Remmler, und etwas poetischer formulierte es Hermann Hesse:
„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben . . . ”
(aus seinem berühmten Gedicht Stufen)
Urlaub vorbei, der Alltag ruft: 14 Tage Aufladung in den Bergen liegen hinter mir – und das war meine Rettung. Alle Akkus prall gefüllt, Reservebatterien eingebaut, so geht man freilich wieder anders durch die Welt; aufrecht, federnd, leicht, und doch mit festem Schritt.
Einige Impressionen
Dem Himmel ent- gegen: in Höhen über 2.000 Meter befreien sich Kör- per und Geist von unzähligen Schwingungen, die uns im Alltag schwächen – Elektrosmog, Handystrahlung, Lärm, und Luft- verschmutzung. Dafür tankt man völlig natürliche Radioaktivität und unverletztes Prana, wie die Inder die Lebensenergie nennen, die aus dem Kosmos auf die Erde einstrahlt. Da jubeln die Körperzellen und wollen Kopf stehen!
Mächtige Turbinen zwischen beklemmenden Felswänden: in der Höllentalklamm ionisieren tosende Wasserkaskaden und -fälle die Luft. Diese sprüht vor Elektrizität, und man kann das Britzeln auf der Haut und beim Einatmen spüren. Wer bei Regen die Höllentalklamm durchsteigt, kommt mit rundumerneuerten Lungen zurück. Gummistiefel und Taucheranzug sind dann allerdings zu empfehlen; so schlau werde ich das nächste mal sein, denn fürs erste war ich vollkommen durchnässt – trotz wasserdichten Schuhen und schwerer gewachster Regenjacke.
Man fühlt sich beim Durchwandern der Klamm unwillkürlich an Dante’s Inferno erinnert, an dessen visionäre Darstellung eines abgründigen Jenseits mit seinen jammervollen Gestalten, denen sich die Pforten des Paradieses auf immer verschließen: „Di subito drizzato gridò: »Come dicesti? elli ebbe? non viv’elli ancora? non fiere li occhi suoi il dolce lome?«” („Jäh auffahrend schrie er: »Was hast du gesagt? Verachtete? Lebt er nicht mehr? Trifft seine Augen nicht mehr das süße Licht?«”). Und man richtet seinen Blick voller Sehnsucht nach oben, dem wärmenden Licht der Sonne entgegen. Ein gewaltiges Naturschauspiel, das seinesgleichen sucht.
Die Schönheit der Bergwelt ist einfach atemberaubend. Alpenglühen am Abend, Frische und Klarheit am Morgen.
Ein Gemälde von Caspar David Friedrich? Diese Morgenstimmung auf dem Weg zum Zugspitzgipfel hätte ihn sicherlich fasziniert. Leinwand aufgestellt und Pinsel gezückt! Niemand konnte derartige Stimmungen besser einfangen als dieser begnadete Romantiker.
Der Lohn für die Überwindung von 2.200 Höhenmetern: grandiose Aussichten von Deutschland’s höchstem Berg. Wer Geld hat, fährt mit Seil- oder Zahnradbahn; doch ist’s im Leben mit viel Klugheit und Bedacht so eingerichtet, dass man sich schöne Gefühle erst einmal verdienen muss. Um 5:15 Aufbruch mit dem Radl in völliger Dunkelheit, um 12:15 nach 7 Stunden oben. Kein bißchen müde, Glücksgefühle!
Warum heißt die Zugspitze eigentlich Zugspitze? Weil ein Zug hinauffährt? Dann hätte der Berg noch vor 100 Jahren anders geheißen. Niemand konnte mir die Antwort sagen. Weiß es wer?
Lebensfreude pur – in anmut’ger Natur! Einen ganzen Tag eintauchen in die Schönheit einer höheren Welt: was König Ludwig der Zweite von Bayern unter großen Schwierigkeiten in den Ammergauer Bergen erbauen ließ, ist heute ein unermessliches Geschenk an diejenigen Menschen, die Augen haben, zu sehen . . . Die Schönheit seiner Seele spiegelt sich wieder in den lieblichen steinernen Bauten und der anmutig gestalteten Natur; der Geist längst vergangener Inkarnationen durchweht das maurische Refugium oder das orientalische Brunnenhaus genauso wie die altgermanische Hundinghütte, in deren Mitte die vom Siegfriedschwert durchbohrte Weltesche aufragt. Ist es ein Märchen oder ist es wahr? In dem Komponisten Richard Wagner hatte der König endlich einen Seelengefährten gefunden; jemand, der ähnlich fühlte und dachte, jemand, der ihn verstand, und mit ihm jene unstillbare Sehnsucht nach einer besseren und schöneren Welt teilte, die den empfindsameren Naturen zu eigen ist. Der König verinnerlichte die Werke Richard Wagners so sehr, dass er eins mit ihnen wurde; vor allem in der Gestalt des Parsifal fand er sich wieder – dem tugendhaften jungen Ritter, der den Weg der Selbsterkenntnis und Selbstvervollkommnung beschreitet, bis er sich endlich als würdig erweist, die Wunde des siechen Gralshüters, dem tödlich verwundeten König Amfortas, zu schließen – und damit der Macht des Todes für immer ein Ende zu setzen. Wunderbare Zeugnisse von König Ludwig’s Liebe zu Richard Wagner sind die im Schloßpark errichteten Inszenierungen wie die Venusgrotte, die Einsiedelei des Gurnemanz, und die Hundinghütte. Wer Wagner’s Musik liebt, sollte sich ein wenig Zeit nehmen, und sich in der Hundinghütte niederlassen. Ich habe dort Teile aus der Götterdämmerung (Ring des Nibelungen) gehört, und es geht mir durch und durch, wenn ich nur daran denke. Diese Gefühlsintensität und die Unmittelbarkeit des Erlebens gehören zu den unwiederbringlichen Glücksmomenten unseres Daseins, und der Zauber eines solchen Ortes wirkt durch Raum und Zeit. Wie sagte einst der junge König, lange vor den ungeklärten Umständen seines Todes: „Ich möchte mir selbst und der Welt auf ewig ein Rätsel bleiben.” Was er sich ausbedungen, vollkommen ist’s gelungen. Und uns bleibt nur ein ahnungsvolles Staunen, in Ehrfurcht und in Dankbarkeit. Schöne Tage waren es, bunt und abwechslungsreich wie ein spätsommerlicher Blumenstrauß, und schon dreht sich mit Schwung und Elan das Rad des Lebens weiter. Ein neuer Anfang im Alltag ist gemacht, verbunden mit dem Wunsch, dass es besser gelinge als bisher. Und vor allem eines: mit der Energie, die ich mitgebracht habe, schonend und vorsichtig umzugehen, damit sie mich lange trägt.