• Jungbrunnen •


„Es ging ein Mann im Syrerland,
führt’ ein Kamel am Halfterband.
Das Tier mit grimmigen Gebärden
urplötzlich anfing, scheu zu werden,
und tat so ganz entsetzlich schnaufen,
der Führer vor ihm mußt entlaufen.
Er lief und einen Brunnen sah
von ungefähr am Wege da.
Das Tier hört er im Rücken schnauben,
das musst ihm die Besinnung rauben.
Er in den Schacht des Brunnens kroch,
er stürzte nicht, er schwebte noch.
Gewachsen war ein Brombeerstrauch
aus des geborstnen Brunnens Bauch;
daran der Mann sich fest tat klammern,
und seinen Zustand drauf bejammern.
Er blickte in die Höh, und sah
dort das Kamelhaupt furchtbar nah,
das ihn wollt oben fassen wieder.
Dann blickt er in den Brunnen nieder;
da sah am Grund er einen Drachen
aufgähnen mit entsperrtem Rachen,
der drunten ihn verschlingen wollte,
wenn er hinunterfallen sollte . . .”

Wer kennt sie nicht, diese Parabel von Friedrich Rückert, die uns das menschliche Dasein zwischen Leben und Tod im Symbol des Brunnens vor Augen führt?

„Du bist’s, der zwischen Tod und Leben
am grünen Strauch der Welt musst schweben . . .”

hören wir den Dichter im zweiten Teil der Parabel sagen.

Schöne Aussichten! Geboren, um dem Tod entgegenzugehen. Alle Menschen müssen sterben. So instruiert man uns seit nunmehr zwei Jahrtausenden. Warum denn nur? Ist Jesus Christus denn nicht auferstanden von den Toten? Nun, so wie Jesus, so kanns keiner. Aber, mit Verlaub, was ist dann mit Methusalem, um einen nur zu nennen, der dem Tode für fast tausend Jahre von der Schippe sprang?

Nun, die Forschung forscht einstweilen nach Methusalemens Genen, doch wir rücken Friedrich nah – was denn da . . . – nun, mit den Brunnen wirklich g’schah . . .

„Wenn al-le Brünn-lein flie-ßen, so muss man trin-ken . . .” Eine einfache Weisheit legt uns dieses Volkslied aus dem 16. Jahrhundert in den Schoß, doch diese Weisheit zu beherzigen, damit tun sich viele Menschen schwer – Menschen, die am Brunnenstrauche hangen, bangend sind vom Tod umfangen – anstatt zu trinken, wenn die Brünnlein fließen. Hat es vielleicht damit zu tun, dass wir so wenig singen? Kein Volk auf dieser Welt verfügt über einen reicheren Liederschatz als das deutsche.

„Ich hört ein Bächlein rauschen
wohl aus dem Felsenquell,
hinab zum Tale rauschen
so frisch und wunderhell.
 
Ich weiß nicht, wie mir wurde,
nicht, wer den Rat mir gab,
ich musste auch hinunter
mit meinem Wanderstab. . . .”

 
Deutsches Liedgut, Nummer Zwei: „Wohin?” von Wilhelm Müller, berühmt geworden in der Vertonung durch Franz Schubert.

Methusalem hört’s rauschen, und er folget ihm – dem klaren, hellen Wasser – ursprünglich rein, so wie die Stimme tief in ihm, die ihn an wundersame Plätze rief.

Eindrücke von Bad Gams
(Großansicht durch Klick)

Bad Gams! Da haben wir’s. Der Vorrede ist es nun genug. Wir kommen zu des Pudels Kern.

Kindheitserinnerungen werden wach. Angenehme und Unangnehme – wie beispielsweise die Schelte meiner Eltern, nachdem ich auf dem Eis des Parkbrunnens kläglich eingebrochen war – und das ausgerechnet zu Ostern, am Tag der Auferstehung des Herrn. Das war anno 1969, als die Winter noch Winter waren, und Bad Gams in der Steiermark nicht Bad Gams hieß, sondern schlicht und ergreifend: Gams am Gamsgebirg. Die Eisenheilquellen hatte Herr Kipper senior zwar bereits zwölf Jahre zuvor auf seinem Grundstück entdeckt und angebohrt, doch da die Gamser Uhren noch bedeutend gemächlicher als anderswo ticken – und das gilt heutzutage unvermindert fort – so dauerte es noch ein ganzes Weilchen, bis man das beschauliche Örtchen in den Adelsstand erhob: Prädikat besonders wertvoll; erlauchter offizieller Adelstitel für das eisenhältige Gesundheitswässerchen: Bad Gams (seit 1982). Bis heute sind die Quellen auf Herrn Kippers Grund ein Geheimtipp geblieben, doch langsam wird es Zeit, Dornröschen aus dem tiefen Schlafe wachzuküssen.

Auf jeden Fall: die Schelte meiner Eltern war berechtigt, doch da es nun einmal geschehen war, so versuchte ich es um so rascher zu vergessen. Es gab noch so viel zu entdecken, in und um Bad Gams herum! Erinnerungen verblassen durch die Jahre, doch das Wohlgefühl heimatlichen Geborgenseins, das blieb mir allezeit erhalten. Und ein Eindruck prägte sich mir unauslöschlich ein: der sonderbare Geschmack im Mund, wenn wir dreimal am Tag in der Trinkhalle des Kurhotels die Michelquelle hinunterkippten – Herr Doktor Kipper möge mir diesen Ausdruck verzeihen – doch machten wir nicht seinem Namen reichlich Ehre? Als eiserne Ritter kehrten wir alsbald nach Hause zurück, voll Tatendrang und mächtig Energie anbei. Prompt kehrten wir im nächsten Jahre wieder, auf gings zur Sommerfrische nach Bad Gams. Gewandert wurde, und gekippert, und wie es meinem Herrn Vater gelang, trotz familiärer Bande seinen Skizzenblock zu füllen, das macht mich heute noch erstaunen.

Heute bin ich meinem Vater von ganzem Herzen dankbar, dass er mich nach Bad Gams mitgenommen hat. Ein unbezahlbares Geschenk, das mich für mein weiteres Leben viel tiefer geprägt hat, als mir bisher bewusst war. Und ich bin nicht der einzige, der den Wert von Bad Gams als heilkräftigem Jungbrunnen erkannt hat. Mehr und mehr Menschen werden die Augen geöffnet, und sie beginnen zu erahnen, was der Schöpfer an diesem Orte geschaffen hat. Wie lieblich sind doch seine Wohnungen!

Freude und Harmonie in einem gesunden Körper!

Was wären unsere Talente, wenn wir sie nicht mit anderen teilen würden?

Die Welt wär’ trist und grau.
Drum Kind, wach auf, sei schlau!
Geh’ hin, wo gute Menschen weilen,
sie freuen sich am Freude teilen.
Die Sonne lacht dir ins Gemüt,
wenn um dich her Gesundheit blüht!
Du kannst nicht anders, als gesunden,
wenn Eisenquellen frisch dir munden.
Wo Liebe ist, da ist gut sein,
die Kippers laden -herzlichst- ein!




Geschenke - mein 17252. Tag


en Menschen treibt es in die Ferne, dort sucht er’s Glück – das Paradies. Da gibt es die Geschichte von den zwei Mönchen, die eines Tages ihre Zelle verlassen, um das Paradies zu suchen; sie irren durch die Lande, und es wird eine lange, beschwerliche Reise. Am Ende ihrer Tage kommen sie müde und hungrig an eine Einsiedelei, und sie klopfen an die Tür. Ein Mönch öffnet ihnen, und sie erkennen, dass sie an der Tür stehen, durch die sie gegangen waren, als sie einst ihre Zelle verlassen hatten.

Ergo, das Paradies liegt in und um uns, und wir sollten es hegen und pflegen, damit es nicht verwildert, und in einen jahrelangen Dornröschenschlaf versinkt. Doch müssen wir es erst einmal erkennen, und – natürlich – das tun wir gerne, umarmen und wachküssen.

Seit einem dreiviertel Jahr bin ich nun ohne Fahrzeug unterwegs. Seither erkunde ich mit dem Fahrrad meine nächste Umgebung, und immer wieder entdecke ich Perlen in der Natur, die mir mit dem Auto verborgen geblieben wären. Es müssen nicht immer die großen Ereignisse und Spektakel sein, oft ist es nur ein besonderer Baum oder eine interessante Bruchlinie im Gestein, an der die magnetischen Kräfte des Erdkerns kraftvoll den Körper umfließen. Gestern war es ein richtiges Arboretum, ein Hain mit herrlichen Bäumen, den man eigentlich unter südlicheren Gefilden erwarten würde; unter Zedern und Mammutbäumen wurde es licht und leicht in mir, und ich sah mich wandeln in duftenden Gärten unter plätschernden Brunnen in der Villa d’Este in Rom. Ein unglaublicher Kontrast zu den düster-schweigenden Tannen- und Fichtenwäldern des Nordschwarzwalds, und nur eineinhalb Stunden Radfahrzeit von mir entfernt (Pforzheim-Sonnenberg, beim Tornadostein).

Wie kam dieses Arboretum zustande? Alles hat sein Gutes, und so auch der Wirbelsturm, der vor 40 Jahren, von Frankreich her kommend, eine Schneise der Verwüstung durch die Lande zog – mithin eine Möglichkeit, die Natur neu zu gestalten, zum Wohl und zur Freude der Menschen.

Und noch ein Beispiel: Als vor fast 10 Jahren am ersten Weihnachtsfeiertag der Wirbelsturm Lothar¹ im Nordschwarzwald ganze Berghänge abrasierte, wurde viel Platz geschaffen, um einer natürlicheren Wiederaufforstung Rechnung zu tragen – weg von den schnellwachsenden, auf größtmöglichen Profit hin ausgerichteten Monokulturen, hin zu einem gesunden, bunten Wald der Vielfalt, der auch dem Erholungssuchenden mehr Abwechslung und Freude bietet. An der Schwarzwaldhochstraße, von Freudenstadt kommend, kann man kurz vor dem Schliffkopf ein Bannwaldgebiet durchstreifen, das nach dem Wirbelsturm nicht geräumt wurde; ein beeindruckendes Erlebnis, wenn man sieht, wie rasch sich ein Wald ohne Eingreifen des Menschen erholt, wie sich Flora und Fauna in harmonischer Eintracht entwickeln.

So bietet die Natur kostenlose Geschenke, die man suchen und entdecken kann, und jeder hat genügend davon vor der Haustür, ob man nun in der norddeutschen Tiefebene oder im Ruhrpott zu Hause ist. Wer bereit ist, sich diesen Geschenken zu öffnen, entfaltet ein wichtiges seelisches Talent: „Paradies zu Hause schaffen, und nicht nach grünerem Gras suchen” – auch der, der uns erschaffen hat, ging uns hierin, nicht nur diesbezüglich, für Milliarden von Jahren voraus.

¹ Der Wirbelsturm Lothar, der nach dem heiligen Abend, dem traditionellen Abend der Geschenke, durch unsere Lande fegte, und viel Energie vernichtete, ist ein interessantes Beispiel dafür, um zu verstehen, wie das Universum die Energiebilanz der Menschen bereinigt. Wenn Menschen Fehlentscheidungen treffen, vernichten sie Energie – und wieviel fehlgeleitete Energie verpufft Jahr für Jahr durch den Konsumrausch und den Geschenkwahn vor Weihnachten? Der Wirbelsturm am nächsten Tag war ein Glied in der Kausalkette und (hoffentlich) ein mächtiger Denkanstoß.

Schenken als gesellschaftliche Pflicht?
Das wünschen die Gesetze nicht.
Schenken von Herzen?
Entzündet die Kerzen!




Frisch ans Werk - mein 17245. Tag


lles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei . . . – so reimte einst schon Stefan Remmler, und etwas poetischer formulierte es Hermann Hesse:

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben . . . ”
(aus seinem berühmten Gedicht Stufen)

Urlaub vorbei, der Alltag ruft: 14 Tage Aufladung in den Bergen liegen hinter mir – und das war meine Rettung. Alle Akkus prall gefüllt, Reservebatterien eingebaut, so geht man freilich wieder anders durch die Welt; aufrecht, federnd, leicht, und doch mit festem Schritt.

Einige Impressionen

Dem Himmel ent- gegen: in Höhen über 2.000 Meter befreien sich Kör- per und Geist von unzähligen Schwingungen, die uns im Alltag schwächen – Elektrosmog, Handystrahlung, Lärm, und Luft- verschmutzung. Dafür tankt man völlig natürliche Radioaktivität und unverletztes Prana, wie die Inder die Lebensenergie nennen, die aus dem Kosmos auf die Erde einstrahlt. Da jubeln die Körperzellen und wollen Kopf stehen!

Mächtige Turbinen zwischen beklemmenden Felswänden: in der Höllentalklamm ionisieren tosende Wasserkaskaden und -fälle die Luft. Diese sprüht vor Elektrizität, und man kann das Britzeln auf der Haut und beim Einatmen spüren. Wer bei Regen die Höllentalklamm durchsteigt, kommt mit rundumerneuerten Lungen zurück. Gummistiefel und Taucheranzug sind dann allerdings zu empfehlen; so schlau werde ich das nächste mal sein, denn fürs erste war ich vollkommen durchnässt – trotz wasserdichten Schuhen und schwerer gewachster Regenjacke.

Man fühlt sich beim Durchwandern der Klamm unwillkürlich an Dante’s Inferno erinnert, an dessen visionäre Darstellung eines abgründigen Jenseits mit seinen jammervollen Gestalten, denen sich die Pforten des Paradieses auf immer verschließen: „Di subito drizzato gridò: »Come dicesti? elli ebbe? non viv’elli ancora? non fiere li occhi suoi il dolce lome?«” („Jäh auffahrend schrie er: »Was hast du gesagt? Verachtete? Lebt er nicht mehr? Trifft seine Augen nicht mehr das süße Licht?«”). Und man richtet seinen Blick voller Sehnsucht nach oben, dem wärmenden Licht der Sonne entgegen. Ein gewaltiges Naturschauspiel, das seinesgleichen sucht.

Die Schönheit der Bergwelt ist einfach atemberaubend. Alpenglühen am Abend, Frische und Klarheit am Morgen.

Ein Gemälde von Caspar David Friedrich? Diese Morgenstimmung auf dem Weg zum Zugspitzgipfel hätte ihn sicherlich fasziniert. Leinwand aufgestellt und Pinsel gezückt! Niemand konnte derartige Stimmungen besser einfangen als dieser begnadete Romantiker.

Der Lohn für die Überwindung von 2.200 Höhenmetern: grandiose Aussichten von Deutschland’s höchstem Berg. Wer Geld hat, fährt mit Seil- oder Zahnradbahn; doch ist’s im Leben mit viel Klugheit und Bedacht so eingerichtet, dass man sich schöne Gefühle erst einmal verdienen muss. Um 5:15 Aufbruch mit dem Radl in völliger Dunkelheit, um 12:15 nach 7 Stunden oben. Kein bißchen müde, Glücksgefühle!

Warum heißt die Zugspitze eigentlich Zugspitze? Weil ein Zug hinauffährt? Dann hätte der Berg noch vor 100 Jahren anders geheißen. Niemand konnte mir die Antwort sagen. Weiß es wer?

Lebensfreude pur – in anmut’ger Natur!

Einen ganzen Tag eintauchen in die Schönheit einer höheren Welt: was König Ludwig der Zweite von Bayern unter großen Schwierigkeiten in den Ammergauer Bergen erbauen ließ, ist heute ein unermessliches Geschenk an diejenigen Menschen, die Augen haben, zu sehen . . . Die Schönheit seiner Seele spiegelt sich wieder in den lieblichen steinernen Bauten und der anmutig gestalteten Natur; der Geist längst vergangener Inkarnationen durchweht das maurische Refugium oder das orientalische Brunnenhaus genauso wie die altgermanische Hundinghütte, in deren Mitte die vom Siegfriedschwert durchbohrte Weltesche aufragt. Ist es ein Märchen oder ist es wahr?

In dem Komponisten Richard Wagner hatte der König endlich einen Seelengefährten gefunden; jemand, der ähnlich fühlte und dachte, jemand, der ihn verstand, und mit ihm jene unstillbare Sehnsucht nach einer besseren und schöneren Welt teilte, die den empfindsameren Naturen zu eigen ist. Der König verinnerlichte die Werke Richard Wagners so sehr, dass er eins mit ihnen wurde; vor allem in der Gestalt des Parsifal fand er sich wieder – dem tugendhaften jungen Ritter, der den Weg der Selbsterkenntnis und Selbstvervollkommnung beschreitet, bis er sich endlich als würdig erweist, die Wunde des siechen Gralshüters, dem tödlich verwundeten König Amfortas, zu schließen – und damit der Macht des Todes für immer ein Ende zu setzen. Wunderbare Zeugnisse von König Ludwig’s Liebe zu Richard Wagner sind die im Schloßpark errichteten Inszenierungen wie die Venusgrotte, die Einsiedelei des Gurnemanz, und die Hundinghütte.

Wer Wagner’s Musik liebt, sollte sich ein wenig Zeit nehmen, und sich in der Hundinghütte niederlassen. Ich habe dort Teile aus der Götterdämmerung (Ring des Nibelungen) gehört, und es geht mir durch und durch, wenn ich nur daran denke. Diese Gefühlsintensität und die Unmittelbarkeit des Erlebens gehören zu den unwiederbringlichen Glücksmomenten unseres Daseins, und der Zauber eines solchen Ortes wirkt durch Raum und Zeit. Wie sagte einst der junge König, lange vor den ungeklärten Umständen seines Todes: „Ich möchte mir selbst und der Welt auf ewig ein Rätsel bleiben.” Was er sich ausbedungen, vollkommen ist’s gelungen. Und uns bleibt nur ein ahnungsvolles Staunen, in Ehrfurcht und in Dankbarkeit.

Schöne Tage waren es, bunt und abwechslungsreich wie ein spätsommerlicher Blumenstrauß, und schon dreht sich mit Schwung und Elan das Rad des Lebens weiter. Ein neuer Anfang im Alltag ist gemacht, verbunden mit dem Wunsch, dass es besser gelinge als bisher. Und vor allem eines: mit der Energie, die ich mitgebracht habe, schonend und vorsichtig umzugehen, damit sie mich lange trägt.