• Adieu, große Kälte! •


ir brauchen dich nicht mehr. „Sonne, Freudenspenderin, sei uns willkommen!” Du hast uns überraschend schnell mit dir versöhnt – wenn ungetrübtes Blau vom Himmel lacht, den Strahlenkranz empfangend.

Was ist des Sonnenlichts Natur? Ist es nun Freundenspenderin, oder ein Freudenspender nur? Im germanischen Sprachraum ist sie, die Sonne”, in ihrer wärmenden Fürsorge eher weiblicher Natur, während im romanischen Sprachraum il sole” bzw. le soleil” eindeutig den männlichen, beherrschenden Anteil zum Ausdruck bringt.

Erstaunliche Unterschiede, nicht wahr? Die Sprachen der Völker, die sich über Jahrtausende hin entwickelt haben – und sich permanent weiterentwickeln, einer Verschmelzung in fernerer Zukunft entgegen – zeigen uns auf, wie unterschiedlich doch das Empfinden anderer Mentalitäten ist. Das gilt es zu erkennen, um es im Miteinander, das ja überwiegend auf Sprachkommunikation beruht, zu berücksichtigen. Toleranz baut hier die Brücken, über Ländergrenzen und Meere hinweg.

So wie der Sonne Strahlen jede Erdkrume erwärmt, und nicht an den von Menschenhand gezogenen Grenzen haltmacht, so unbegrenzt sollten wir in unserem Denken, Fühlen, Wollen, und Handeln jederzeit sein.

Er muss sich bald schon wieder – ob er es möchte, oder nicht – vereinen mit den anderen, hinunterströmen in den Ozean . . .

 . . . wo seine Freunde sind.
Besser, du möchtest es, mein Kind!
Das sei als Herzenswunsch in dir gehegt:
Glücklich zu lieben alles, sei’s, was dich bewegt.

Das ist die Liebe, die alles umfasst, indem sie bei sich selbst beginnt. Selbstliebe lernen, heißt es nun. Was also tun?

»Lernet und teilet!«

Mein Freund Jürgen hat seine bisherigen Erfahrungen für Euch niedergeschrieben. Eine herrlich blühende Rose ziert sein Selbstliebe-Kompendium, und es ist die Rose der Entfaltung, die ihm den Lebensweg weist.

So öffnen sich die Knospen, wer sich der Liebe öffnet. Licht wird es in uns, warm und hell. Und langsam zeigt sich nun die Schönheit, die unsrer Seele innewohnt. Sie zu entfalten ist es, was sich wirklich lohnt! Nehmen wir uns die Natur zu Herzen; »sie blühet, weil sie blühet . . . egal ob man sie siehet« (Silesius). Auch im Verborgenen ist’s nicht umsonst, denn einer sieht dich, jederzeit.

»Blühe für Dich, weil es Dein Auftrag ist!
So bist Du Freude für die Welt.«

„Kinder, wie ist es in der Sonne schön!” Zugegeben, an Ostern haben wir gefroren. Doch jetzt herrscht Dankbarkeit und Frieden in euch, oder etwa nicht? :smile: Die Wärme kam auf leisen Sohlen, heimlich über Nacht. Wer hätte das gedacht? Zwölf Grad mehr! Das Herze lacht. Am ersten Arbeitstag der Woche! So geht die Arbeit leicht und zügig von der Hand. Wer wollte da noch neidisch oder eifersüchtig sein, wenn andere im Sonnenschein spazieren? Freude und Glück sei ihnen großherzig gegönnt. Sind nicht die Tage lang genug, um noch nach Feierabend ein paar Strahlen einzufangen?

Aprilwetter ist launisch, sagt man. Abwechslungsreich, sag’ ich, so klingt es besser mir. In weiser Planung wird es dazu eingesetzt, uns seelisch „wetterfest” zu machen. Sozusagen unerschütterlich, auch wenn’s von oben wie aus Kübeln schütten sollte.

»Vollkommen positiv und frohgestimmt
will man uns haben, allezeit.
Bist Du bereit?
Oder willst Du noch länger Trübsal blasen?
So blas’ allein mit Deiner Pein,
bis Du zur Freudenmelodie gefunden.
Dann erst verlass Dein Kämmerlein,
dem Leben öffnend sei bereit;
mach’ Deine Herzenstüren weit!
Mit Freudentönen wirst Du Licht
im reinsten Lichte sein.«

Freude und Freundschaft sind Geschwister! Schließ doch ein Freundschaftsband mit Dir. Du wolltest doch als Kind schon ewig glücklich sein!

»Erkenne Dich!«
»Erinnere Dich daran, an jedem neuen Tag.«




Jahreswechsel - mein 17362. Tag


till ruht der See. In ihm spiegelt sich alles, was über ihm aufragt. Wie oben, so unten – und so auch hier. Wir sehen, was sich an der Oberfläche des Sees zeigt. Doch den Grund, den tiefen – wer würde sich anmaßen, ihn zu schauen?

So wird es uns verständlich, warum es nicht so einfach ist, bis auf den Grund der Seele zu schauen. Die Seele ist dem See entnommen — so glaubten es unsere Vorfahren, und kleinen Kindern erzählt man heute noch, dass sie der Storch aus dem Teich hinter der Kirche herausgefischt und durch die Luft zu uns ins traute Heim geflogen hat.

Die Seele ist – - ein großes Rätsel. Wo kommt sie her, wo geht sie hin? Und überhaupt, was ist ihr Sinn? Mit unserem Verstand allein sind wir, ob schon geboren, doch verloren. Wir müssen lernen, ihn zu spüren und zu fühlen, den Urgrund unseres Seins.

Heute ging ich hinunter ins Städtchen, um mich mit den notwendigen Dingen bis zum Wochenende zu versorgen. Beim Gemüse- und Obsthändler herrschte Andrang kurz vor Ladenschluß. »Schau, welche Überraschung!« Ein bekanntes, liebes Gesicht. Eine Frau, die Freude und tiefe Dankbarkeit ausstrahlt. Wir gingen einmal ein Stück Weges gemeinsam den Wald entlang, und sie erzählte mir von den Schicksalsschlägen, die sie gemeistert hatte – ein schwerer Unfall, der sie eigentlich zum Krüppel hätte werden lassen – wenn sie nicht tapfer und im Vertrauen auf Gott an sich und ihrem Körper gearbeitet hätte. Dankbarkeit? Ja! Wenn ich sie so vor mir stehen sehe, gerade und aufrecht, und ihre Augen strahlen vor Glück, dann verstehe ich, was es bedeutet: neu geboren zu sein; im Wissen darum, welch großartiges Geschenk es ist, am Leben zu sein, gesund und munter auf beiden Beinen zu stehen, hin und her zu gehen, und mit allen Sinnen die Schönheit der Welt zu erkunden. Sie schüttelte mir lange die Hände, wünschte mir Gottes Segen, bedankte sich für das Gespräch, das wir damals geführt hatten, und sagte mir zuletzt mit einem Augenzwinkern: »Sie wissen ja, ohne den Heiligen Geist geht gar nichts!«

Wie recht hat sie! Die Gute hat es auf den Punkt gebracht. ER ist es, der uns führt. ER ist es, den man spürt. ER spricht zu uns, und wir – wir nennen seine Worte unsre innere Stimme; kurz – unsre Intuition. Hören wir auf sie, so wird uns Lohn. Und wer nicht hören will, muss fühlen. Eigentlich ganz einfach, oder?

Dankbarkeit steht uns gut zu Gesicht, nicht nur am letzten Tag eines zurückliegenden Jahres. Guten Menschen ist es ein Herzensbedürfnis, und zeigen kann man Dankbarkeit auf die unterschiedlichste Art und Weise. In Schiltach, dem kleinen Schwarzwaldstädtchen, in dem ich groß geworden bin, gibt es eine jahrhundertealte Tradition, den Silvesterzug. Wie gerne denke ich daran zurück! Schon am Vormittag ging es hinunter in den Keller, um die alten Öl- und Kerzenleuchten der Großeltern – aus Holz und Blech, mit verrußten und hauchdünnen Glasscheiben an den Seitenwänden – hervorzuholen, abzustauben, und instand zu setzen.

Dann, Punkt 20:00 Uhr, in tiefster Dunkelheit, war es soweit. Hunderte von Menschen versammelten sich vor dem Pfarrhaus, von dessen Fenstern Kerzen hell erstrahlten; nachdem der Pfarrer seine Ansprache beendet hatte, zogen alle Teilnehmer schweigend durch die Straßen bis zum Marktplatz. Jegliche elektrische Beleuchtung war rechtzeitig abgeschaltet worden, und nur einige hoch auflodernde Pechfackeln stießen ihre Funkenglut gen Himmel. Sie tauchten die mittelalterlichen Fachwerkgassen in ein schauerliches Licht- und Schattenspiel. Vor dem Rathaus angekommen, wurden die Leuchten entzündet, und ein heller, lichter Schein spielte auf den Gesichtern derer, die sie in der Hand hielten. Gesichter, vom Leben gezeichnet – und die flackernden Kerzenflammen gruben die Falten den Menschen noch tiefer in die Stirn, als sie tatsächlich, bei Tageslicht besehen, waren. Dann plötzlich wurde, von unsichtbarer Hand geführt, das Schweigen unterbrochen, und es erklang ein Choral in die Stille hinein . . .

Nun_danket_alle.js

Majestätisch und erhaben, feierlich und getragen verklangen die letzten Töne. Mir war es ganz warm ums Herz geworden, und ich fühlte mich an der Hand des Vaters unendlich geborgen. Es war ein Gefühl, als ob mir nie etwas Leidvolles geschehen könnte. Zu guter Letzt kam noch der Bürgermeister zu Wort, und dann wünschte man sich Gottes Segen, und alles Gute für das neue Jahr. So gingen wir nachdenklich und schweigend nach Hause; schon längst im Schlaf versunken, vernahmen wir aus weiter Ferne den Ruf des Nachtwächters:

„Wohlauf im Namen Jesu Christ,
das alte Jahr vergangen ist,
ein neues Jahr vorhanden ist.
Ich wünsch’ euch ein glückselig’ Jahr,
und was ich wünsche, werde wahr,
ewger Friede immerdar,
Lobet Gott den Herrn!”

Still ruht der See. Leise rieselt der Schnee. Er ist rar geworden, in unseren Breitengraden. Schneeweiß sind sie, die Schneeflocken, weil ihre Kristalle alle Farben des Lichts in sich tragen. Und manchmal, in den kostbarsten Momenten des Glücks, zerlegen die Strahlen der im Winter tiefstehende Sonne das Weiß der Kristalle in die schillernde Palette des gesamten Farbspektrums. So bunt, vielfältig, und farbenfroh werde unsre Seele! Das wünsch’ ich euch und Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, von ganzem Herzen.




Quellenkunde - mein 17301. Tag


uelle ist tot. Die Kuh, die schon länger kaum mehr Milch von sich gab, wird nun endgültig geschlachtet. Der Ausverkauf läuft auf vollen Touren. Aus und vorbei, der Traum von einer gesicherten Zukunft – für tausende von Mitarbeitern und zahlreiche Dienstleister, die dem Versandhaus, eine Institution seit Jahrzehnten, zugearbeitet hatten. Ein Alltagsfall, wie jede andere Insolvenz auch? Ja und Nein. Es ist das Symptom einer Krankheit, an der Millionen von Menschen bei uns leiden: ein Virus mit dem Namen „Undankbarkeit”. Die Schnäppchenjäger grüßen.

Am Samstagmorgen um sechs Uhr in der Früh’ begann die Schlacht um die günstigsten Angebote; schon kurz darauf gingen die Server in die Knie. Innerhalb kurzer Zeit legten Millionen von Anfragen das Netzwerk lahm, und das, obwohl die Netzwerktechniker in weiser Voraussicht die zur Verfügung stehende Hardware aufgestockt hatten.

Prozente!   10%! 20%! 30%!   Darf ’s noch ein bißchen mehr sein? Wir haben uns doch längst an den Rabatt von   70%!   gewöhnt, wie er beim Sommerschlußverkauf seit Jahren gang und gäbe ist. Das Resultat ist ein gewaltiger Scherbenhaufen: Überschuldung und eine aufgeblähte Wirtschaft, die sich gesundschrumpfen muss, bis wieder ein vernünftiges Maß erreicht ist. Bluten muss bei diesem Prozess die ganze Gesellschaft, auch derjenige, der mit seiner zur Verfügung stehenden Energie nicht zur allgemeinen Schuldenanhäufung beigetragen hat. Entscheidend ist die Frage: lernen wir aus der Misere irgendetwas dazu, oder nicht? Wir müssen die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung vollkommen verstehen, wenn wir es in Zukunft besser machen wollen.

Dankbarkeit und Wertschätzung heißen die Werte in unserer Seele, die wir von neuem lernen müssen. Wer nicht bereit ist, einen angemessenen Betrag für ein Produkt zu bezahlen, kann weder die Rohstoffe, noch die Mühe, geschweige denn die Arbeitszeit oder gar die gesamte Lebensenergie, die in einer Ware stecken, wirklich schätzen.

Fehlende Wertschätzung für das, was man hat – auch wenn es im Materiellen vielleicht gering erscheinen mag – führt mit der Zeit dazu, dass man immer mehr haben möchte. Dieser Hunger ist unstillbar, und kann sich bis zur Konsumsucht ausweiten. Katalogblättern, Einkaufsbummeln, Shoppen gehn? Das kann nicht funktionieren. Man versucht sich damit eine Ersatzbefriedigung zu verschaffen, doch die innere Undankbarkeit, sie bleibt – und die Seele leidet weiterhin.

„Shoppen” wirkt wie eine Tablette. Man wirft sie bei Beschwerden ein, und betäubt damit die Schmerzen für eine gewisse Zeit. An den Ursachen der Schmerzen verändert das Betäubungsmittel allerdings nicht das geringste.

Menschen, die diese unersättliche Gier nach mehr entwickeln, beginnen dann oft, Ausgaben auf Pump zu bestreiten – in der trügerischen Hoffnung, dass sich an ihrer persönlichen Situation schon nichts verändern werde. Doch Leben ist ein dynamischer Prozess, und stetige Veränderung ist das Kennzeichen jeglicher Weiterentwicklung – das Universum duldet niemals Stillstand, denn es müsste daran zugrunde gehen (Urgesetz)!

Auf Pump finanzierte private Ausgaben sind also genauso wie kreditfinanzierte wirtschaftliche Investitionen eine Spekulation auf die Zukunft, ausgehend von der momentanen Situation. Spekulieren ist jedoch äußerst riskant und deshalb unerwünscht im Universum — denn Sicherheit und Geborgenheit stehen dort an allererster Stelle. Das ist auch der Grund, weshalb jegliche Erwartungshaltung enttäuscht werden muss, und so kommt es immer anders, als man denkt. Schnell sitzt man dann in der Bredouille.

Glauben Sie etwa, dass nur das System, die Wirtschaftsmanager, oder die Politiker die Verantwortung für die gegenwärtige Situation tragen? Irrtum! Sie handeln vollkommen gemäß unserer Stärken und Schwächen, als getreues Spiegelbild der Gesamtheit aller seelischen Entscheidungen aller Staatsbürger. Steht nur ein einziger Staatsbürger privat in der Kreide, so muss auch der gesamte Staat in der Kreide stehen. Wie unten, so oben – wie innen, so außen – Mikrokosmos gleich Makrokosmos – eine uralte Erkenntnis, die sich in allen Erscheinungen unseres Daseins wiederspiegelt.

»Tausend Wünsche, eine Quelle?«

Ein weiser Spruch, den da findige Werbetexter für den ehemaligen Katalogriesen kreiert haben, und wir sollten ihn uns zu Herzen nehmen: für all unsere Wünsche gibt es nur eine einzige Quelle, und das ist die, aus der alles Lebendige entspringt – GOTT, der Urgrund allen Seins. Wenn unsere Quellen derzeit mehr und mehr versiegen – die Finanz- und Wirtschaftskrisen halten uns den Spiegel selbstsüchtigen Verhaltens vor – so ist es an der Zeit, unsere Einstellungen und Verhaltensweisen gründlich zu überprüfen. Treffen wir die notwendigen Veränderungen, noch bevor alle Quellen zum Erliegen kommen! »Wer die Stunde des rechten Lebens hinausschiebt, gleicht nur dem Bauern, der darauf wartet, dass der Fluss versiegt, ehe er ihn überquert«. So schrieb der römische Dichter Horaz schon vor gut zwei Jahrtausenden.

Dankbarkeit ist eine Tugend, und dankbarer werden kann man für so vieles, so klein es auch sei. Machen Sie Dankbarkeit zu Ihrer Herzenssache! Erst mit Dankbarkeit im Herzen erschließt sich uns die ganze Fülle unseres Daseins, und dann läuft sie wieder, unsere Quelle, an deren Tropf wir unumstößlich hängen; munter sprudelt sie, in einem fort — für den, der »Danke!« sagen kann.




Demut entwickeln - mein 17266. Tag


estern zog es mich hinauf, auf die lieblich gewellte Ebene des Heckengäus, das sich wie ein nachlässig hingeworfenes Tischtuch bis hin zu den Wipfeln der aus schattigen Tälern aufragenden Schwarzwaldtannen ausbreitet. So sog ich den würzigen Duft eines klaren Herbstmorgens ein, und erfreute mich an der Sonne, die an einem makellos blauen Bilderbuchhimmel emporstieg. Des öfteren mag ich hier verweilen – erinnern mich die sanft geschwungenen Hügel doch an die Ideallandschaften Italiens, wie wir sie in der Toskana, in Umbrien oder im Latium finden.

 

Eine typische Eigenart des Heckengäus sind seine Hecken – wer hätte das gedacht? Sie bieten einer Vielzahl seltener Pflanzen- und Vogelarten Lebensraum. So durchquert man immer wieder Naturschutzgebiete; lichte Mischwälder wechseln sich ab mit Streuobstwiesen, und gelegentlich radelt man an einer Schafherde vorbei. Die Schafbeweidung fördert die Erhaltung einer uralten Kulturlandschaft, die ohne Hege und Pflege in kurzer Zeit von Bäumen überdeckt wäre. Vorbei geht es an Weißdornhecken, an Sanddornbüschen und Schlehenbäumchen, und unvermittelt trete ich auf die Bremse: da prangen nachtblaue Früchte an flechtenbehangenen dürren Ästchen, die unter ihrer schweren Last schier zu brechen drohen; sie gehören zu einer Reihe wilder Zwetschgenbäume, die vom Heckengewirr umschlungen sind. Der ganze Boden ist voll, wie Ostereier liegen die süßen Früchte unter Grashalmen und verdorrten Blättern versteckt. Niemand hat sich die Mühe gemacht, sie aufzulesen. Erde zu Erde, Staub zu Staub – die Zwetschgen den Würmern? Ich bücke mich nieder, und fülle mit der eingesammelten Ernte meine Gepäcktasche; es ist ein winziger Bruchteil dessen, was noch auf dem Boden verbleibt. Die Würmer werden nach wie vor einen reichlich gedeckten Tisch vorfinden!

Sich bücken ist ein Zeichen von Demut. Der Bauer duckte sich einst im Frühjahr tief in seine Ackerfurche, um zu pflanzen, und noch einmal, tiefer noch, im Herbst vor dem Landvogt und dem Steuereinnehmer, um ihnen das zu geben, was man einen Zehnt nennt. Noch heute finden wir in alten Dörfern Zehntscheuern, und manche von ihnen sind hübsch herausgeputzt.

Der zehnte Teil der Ernte, der zehnte Teil des Einkommens – das ist der Anteil, den man leicht entbehren kann, und der sich seit biblischen Zeiten wohl bewährte – warum haben wir denn heute diese Richtschnur so sehr aus den Augen verloren?

Man kann die Kuh nur melken, solange sie gut im Futter steht – doch dann entwickelt sie einen mächtigen Appetit. Und nun? Jetzt stehen wir vor leeren Trögen. Sind daran nicht vor allem unsere überzogenen Wünsche und Forderungen schuld? Müssen wir nicht wieder von neuem lernen, eigenverantwortlich zu leben und zu handeln? Bescheidenheit ist eine Zier. In Zeiten wie der unsrigen sollten wir den Blick für das Wesentliche schärfen. Gesundheit und Zufriedenheit, das wär schon was; Glücklich sein und Lebensfreude, wenn’s denn ein bißchen mehr sein darf. Von staatlichen Händen sanft durchs Leben getragen, von der Wiege bis zu Bahre, from the cradle to the grave — diese Zeiten sind, gottlob, vorbei.

Bücken Sie sich, sammeln Sie Fallobst¹ auf und verwerten es, denn dann bauen Sie an Ihrer eigenen Gesundheitsvorsorge; Ihr Rücken wird schön elastisch dabei; geschmeidiger, als ihn ein Physiotherapeut jemals hinzubiegen vermag. Das untergegangene Atlantis hat es uns vor Augen geführt: wird es dem Menschen in seiner Haut zu wohl, so wird die Seele träge, und macht zu wenig Fortschritte.

Prüfen Sie einmal beim nächsten Spaziergang, was in Ihnen vorgeht, wenn Ihr Blick einen am Wegrand liegenden, rot eingefärbten Apfel streift. Was sind Ihre ersten Gedanken? Geringschätzung oder Wertschätzung? Dankbarkeit und Demut entwickelt leichter derjenige, der Entbehrung geschmeckt hat. Wären Sie bereit, den Apfel aufzulesen? Wer sich dazu überwinden kann, steht jederzeit unter Schutz – er wird nie Hunger leiden, was auch immer in diesen Zeiten des Umbruchs geschehen mag.

¹ Nach meiner Information ist laut Gesetz ab erstem November das Fallobst von Streuobstwiesen Eigentum desjenigen, der es aufliest (Baden-Württemberg). Möglicherweise gelten in anderen Bundesländern andere Bestimmungen.




Eine pfiffige Sache - mein 17214. Tag


fifferlinge! Einen ganzen Spankorb voll, sage und schreibe 400 Gramm, für 1,99 € – ein Freudenfest, für den Gaumen und den ganzen Körper. Ein Geschenk, das sich mir gestern im Supermarkt feilbot, und dessen ich mich eigentlich zutiefst schämen sollte. Durch wieviel emsige Hände sind diese Pfifferlinge gewandert? Ein Bruchteil der zwei Euro als Lohn für wieviel Stunden Arbeit?¹ Wer schon einmal auf Schwammerl-Suche war, weiss sicherlich ein Pilzmenü zu schätzen, das er sich nur durch Fleiß und einen schmerzenden Rücken verdient hat.

Ein Füllhorn lebendiger Vitalstoffe sind sie, die Pfifferlinge, doch es bleibt ein Ding der Unmöglichkeit, alle Vorzüge² dieser kleinen ockerfarbenen Zwerge aufzuzählen; und so bescheide ich mich damit, sie liebevoll, mit Hochgenuß, Dankbarkeit, und großem Respekt zu verzehren. Und da das Auge bekanntlich mitisst, habe ich sie mit tiefgrünem Brennnesselspinat kombiniert, ein schönes, kontrastreiches Bild!

¹ Solche Preise, die dem eigentlichen Wert des Produkts nicht annähernd entsprechen, tragen gravierend zur allgemein verbreiteten „Schnäppchenmentalität” bei. Sie kommen durch die geballte Einkaufsmacht großer Handelskonzerne zustande, die den Anbietern den Preis fast nach Belieben diktieren können. Massenimporte aus Schwellenländern: in diesem Fall kommt das Produkt aus Belarus, bekannter vielleicht unter dem Namen Weißrussland, das sich an die östliche Landesgrenze zu Polen anschmiegt. Die Hauptstadt ist Minsk, und es finden sich dort ausgedehnte Sumpfgebiete, die nicht nur Stechmücken, sondern auch Pfifferlingen ideale Wachstumsbedingungen bieten…
² Zwei dieser gesundheitlichen Vorzüge seien stellvertretend für die vielen anderen erwähnt: