• Bitte lächeln • - mein 17288. Tag


eute will ich Ihnen von einer Begegnung mit zwei Menschen aus der ehemaligen DDR erzählen, die nun schon einige Wochen zurückliegt, und über die ich lange nachgedacht habe. Diese Begegnung fand an einem eben so schönen wie ungewöhnlichen Ort statt: auf einer bayrischen Hochalm im Liegestuhl vor dem herrlichen Panorama der Alpspitze, deren ebenmäßige Pyramidenform die Strahlungswellen aus dem Kosmos reflektiert, und bis hinüber in das Ammer- und das Estergebirge wirft; schützend hält sie ihre Hand – über’s ganze Land, das sie um fast 2.000 Höhenmeter überragt.

 

Ich hatte gute eintausend Höhenmeter mit dem Radl hinter mir, und Hunger wie ein Wolf. Mein Proviant war etwas spärlich ausgefallen, in der Hoffnung, die Last auf meinem Rücken etwas zu verringern. So war ich denn heilfroh, dass ein älteres Ehepaar auf den benachbarten Liegestühlen, zwee waschechte Bälinää, mich sogleich als notorischen Hungerleider ausjekiekt hatten.

„Brich mit dem Hungrigen dein Brot”, so fordert es die christliche Barmherzigkeit, und diese beiden haben reichlich es an mir getan – obwohl sie sich, wie später ich erfuhr, als überzeugte Atheisten offenbarten.

Die lebhafte Frau, die mich beiläufig nur gefragt hatte, «wat icke denn so mache», war jantz hin und wech, als sie vernahm, dass ich ausgebildeter Kirchenmusiker sei. Die Lunte war gelegt; unser Gespräch gewann an Tiefe. Nachdem ich Schweinshaxe und Rippchen dankend abgelehnt hatte, und mir statt dessen Käse, Radi und die Petersilie gut munden ließ, musste ich erst einmal mein ganzes Leben auf der Hochalmwiese ausbreiten: «wie kommt een vernünftijer junger Mann wie Sie dazu, keen Tierchen mehr zu essen? Also, dat versteh ick ja nu wirklich nich.» So hörten Sie andächtig zu, und ernster wurden ihre Mienen. Als nun die Vorzüge fleischloser Kost erschöpfend abgehandelt waren, betraten wir, und just zu diesem Zeitpunkt war es nur ein kleiner Schritt, den Boden, der voll Tücke ist – denjenigen des Glaubens und der Religion. «Nu’ saachen se mal, warum lächelt denn der Jesus nie an seinem Kreuz? Det is ja wirklich fürchterlich! Wir ham vor kurzem eene Kirchenführung mitjemacht, un ooch der Führer konnt es uns nich’ sagen». – «Ja, warum lächelt denn der Jesus nicht, am Kreuz, das wir ihm schlugen? Hätten Sie denn an seiner Stelle wohl gelacht?» – Ich konnte dieser Frau keine befriedigende Antwort geben.

Inzwischen kann ich diese beiden sehr viel besser noch als damals auf der Alm verstehen; sie haben mir enorm geholfen, die Mentalität der Menschen aus der ehemaligen DDR besser zu begreifen. Diese vierzig Jahre hinter Mauern waren für die Menschen, die dort inkarnierten, eine Vorbereitung auf das, was damals sie – vom Sozialsystem umsorgt – kaum kannten, doch heute um so mehr beherzigen müssen: Eigenverantwortung im Denken und Entscheiden, Entscheidungen dann gründlichst hinterfragen – sich selbst auf beide Hinterfüße stellen, sich frei machen von jeglichen Erwartungen – und endlich bei sich selbst anfangen, wenn’s denn nachhaltig besser werden soll.

Und Jesus, warum lächelt er denn nicht? Weil viele Menschen ihn, den Freudenspender, voller Fröhlichkeit im off’nen, weiten Herzen, immer noch so gern als Leidensträger sehen wollen. Herrjeh, zerknirschte Sünder! Am Kreuz ist er gestorben, damit uns unsre Sünden all’ erlassen sind – auf dass du bleiben könntest, wie du bist, mein allzu blau geäugtes Kind? Ein Irrtum, der dem Gang der Geschichte für Jahrhunderte ein unverwechselbares Antlitz gab – ein häßliches, gequält und schmerzverzerrt.

Jesus Christus ist nicht für uns, sondern wegen uns gestorben. Die Dornen, die man ihm auf’s Haupt gewunden hat – sind sie wahrhaftig nicht ein stechendes Symbol der negativen Eigen-schaften, die wir in unsrer Seele tragen? Wir dulden sie oft allzu lange, mitunter gar ein ganzes Leben, und unter ihnen leiden alle Menschen, die mit uns jemals in Berührung kommen. So stellen Sie sich doch nur einmal vor, sie müssten ständig in die Stacheln eines Dornbuschs greifen! Genau so muss es Jesus mit den Menschen seiner Zeit ergangen sein, denn seine Seele war von allen Schwächen frei – und ist’s, und wird’s auch immer sein. Und wir? Wir müssen eines Tages dieses Ziel der Schwächenfreiheit ebenfalls erreichen, es führt kein Weg daran vorbei. Wir müssen unsre negativen Eigenschaften überwinden, um zum wahren Menschsein vorzudringen; begehret nicht, geliebt zu werden, so werdet vielmehr Liebende auf Erden! Mit Fröhlichkeit im Herzen, und Demut obendrein.

Was ist ein Liebender? Ein Liebender ist, wer sich selbst erkennt. Und wem dies immer besser mit der Zeit gelingt, der darf getrost die Dornenkrone an den Nagel hängen.

Jesus lebt, und wir mit ihm! Er ist mitten unter uns. Für uns ist er geboren, zur Freude und als Vorbild. Ihm nachzufolgen, heißt, in seinen Spuren treu zu wandeln. ER geht den Weg uns weit voraus, der stets in allem tut den ersten Schritt.

Vielen Dank, Edgecombe, für deine Inspiration. Leider ist über dich als Künstler nichts im Internet zu finden. Deshalb ein Link zur Inspirationsquelle dieses Bildes: I Asked Jesus.




• Unterm Rad II • - mein 17284. Tag


ir müssen Flexibilität beweisen, heutzutage – denn wer mit reichlich Fort- und Weiterbildungen auftrumpfen kann, hat letztlich seine Nase vorn.
Gesagt, getan, ich spucke in die Hände – die eiskalten. Die klammen Finger sind vor Kälte blau, vom Schmutz der Reifen und der Straßen starren sie tiefgrau. Der eisige Oktobermorgen meint es gut mit mir.

«Wie wär’ es heut’ mit einer Fortbildung zum Radmechaniker?» tönt es von oben – «Muss das denn sein?» ich zieh’ den Kopf schon ein – «Ja, es muss sein, das weitet schön dein akademisches Profil.»

Wo ist das Flickenzeug?
Und wo der Kleber?
Die Muskelkraft ersetzt
den Wagenheber.
Man laborieret, eins, zwei, drei,
die Luft strömt am Ventil vorbei;
und auch nach mehreren Versuchen,
hilft nichts – man möchte gern -
und darf nicht flxxxxx.
Verflixt und zugenäht!
Bin ich zum Schneider oder Schuster denn geboren?
Das Ego ist es, was sich bläht.
Dem Hahn wird wieder ’mal sein roter Kamm zurecht geschoren.

Ein Jahr fast garantiert’ es mir Beweglichkeit, das Fahrrad meiner Mutter, das ihr – schon lang ist’s her – stets treu und hilfsbereit zur Seite stand. Zwei Gänge taten noch, ein schwerer und ein leichterer. So ging es immerfort ganz munter, Berg hinauf, und Berg hinunter; schmal bereift – hübsch weiß gestreift – so tänzelte ich über Schnee und Eis, wie eine Primaballerina über das Parkett. Doch war zuletzt das feine Rädchen groben Wegen nun erlegen.

Was tun, sprach Zeus, in seiner Not?
Das Fahrrad ächzt, und ist halbtot.
Dort steht was in der Eck’, ein Gaul!
jetzt schau ich tiefer ihm ins Maul,
obwohl er mir geschenket worden . . .

Seit Monaten stand es verlassen in der Ecke, das fürstliche Geschenk der Nachbarin; ein ausgemustertes Mountainbike ihres Sohnes, das ich schon längst gesattelt hätte – wenn es denn fahrbereit gewesen wäre.

Der Kurbeltreter links? Nicht aufzufinden, amputiert.
Schlauch vorne? Der hält nicht, was er verspricht.
Und Licht? Das glänzt nur durch Abwesenheit.
Die Bremsen? Nichts als heisse Luft . . .

und so geht es in einem fort, eindeutig ist die Diagnose: Patient schwer krank, muss schleunigst auf den Tisch! Indess – das nächste Krankenhaus für Räder, das ist weit. Doch wer sein Radl liebt, der schiebt! – wie wahr . . .

Es waren nicht die letzten Hürden, auf dem Weg ins neue Fahrradglück, doch gestern fiel der erste Praxistest durchaus erfolgversprechend für mich aus. Der nächste Winter kommt bestimmt, er klopft schon an die Pforte – ich heiße ihn willkommen – denn ich bin gut gerüstet jetzt, mit griffigem Profil. Zertifizierter Radmechaniker bin ich trotz alldem nicht geworden, doch kann ich zwischenzeitlich nicht nur zwischen Kettenschaltung und althergebrachter Nabenschaltung unterscheiden, sondern sogar sie just justieren, und das mit meinen linken Händen! Wirklich umwerfend, einfach grandios. Umwerfer, Ritzel, Innenlager? Auch kein Problem. Mit Fahrradfachausdrücken bin ich mittlerweile gut bestückt.

Und wozu war das Ganze gut? Es tut sich nichts, wenn man’s nicht selber tut – bei sich beginnen, heißt die allererste Bürgerpflicht. Es ist eines der wichtigsten Talente uns’rer Seele, und wem’s gefällt, an ihm zu feilen (auch, wenn’s weh tut), der wird wahrlich groß. Doch fällt dann nichts dir in den Schoß!

Das soll und wird die Tapferen im Land nicht schrecken; und wer sich ziert oder geniert, der wird zur Zierde nachhaltig erzogen, seelisch geläutert und zurechtgebogen: Die Menschen aus der DDR ham’s hinter sich, doch die in Nordkorea stecken mittendrin. Das alles ist nur eine Frage der Geduld, und man muss wahrlich kein Prophet sein, um schon den nächsten Mauerfall vorauszuahnen.

Erwartungsfrei zu werden,
das ist ein hohes Ziel auf Erden.
Tu nur den ersten Schritt dazu!
Dann geht der Nächste mit, im Nu . . .
und was nicht alles geht, wenn’s gehen muss!
für heute mach’ ich erst ’mal Schluß . . .