ielleicht kennen Sie ja die gleichnamige Erzählung, die Hermann Hesse vor gut einhundert Jahren verfasst hat. Das kleine Büchlein mit den vergilbten Seiten, das sich in einer dunklen Ecke des Bücherschranks meines Vaters, hinter mächtigen und schweren Folianten, gut geschützt verborgen hielt, war meine erste Begegnung mit dem versonnenen Erzähler aus dem Nordschwarzwald, und sie war weitreichender, als ich damals ahnen konnte. Mit meinen sechzehn Lenzen verschlang ich die Geschichte um den Jüngling Hans Giebenrath in einem Zug wie mancher weiland Goethes Werther; gerade in den Jahren jugendlicher Leiden entwickelt man ja einen ungeheuren Appetit auf das, was einem niemand niemals nicht erklären konnte, weil es höherer Mathematik entsprang – die Gleichung des Lebens – die große Unbekannte also, die für jeden Zeitgenossen aufzugehen schien, nur für mich selber nicht; und so suchte sich die wunde Seele Trost und Heilung in den Büchern, trocknete der Tränen Fluß in sanften Tüchern; schließlich griff es doch zu sehr ans Herz, das eig’ne Angesicht in jenem Jüngling wiederzuerkennen, den Hesse gar mit autobiograf’schen Zügen malte – und den das Rad des Lebens unbarmherzig niederstieß, bis auf des Flusses tiefsten Grund.
Was ich damals noch nicht wissen konnte: Fortuna, die gewalt’ge Schicksalsgöttin, meint es gut mit all den wenigen, die den Niederungen des gewöhnlichen Lebens zu entrinnen trachten. „Wirf ihn höher, ferner, weiter, Nietzsche meint den Lorbeerkranz, den er jenem zugesteht, der redlich sich bemüht. Wer also weiter kommen möchte als die träge Masse, der muss höher streben; den Sternen entgegen. Fordere das Beste von dir selbst! Sonst bleibst du stehen und drehst dich, wie ein Fisch im Teich, im Kreis. Auch wenn es Kraft und Überwindung kostet: ein guter Stahl muss nun einmal gehärtet sein. Gleicht unsre Seele nicht dem Muskel, dem Erschlaffung droht, wenn es in seiner Haut ihm bald zu wohl ergeht? Vor diesem Hintergrund bekommt das unbarmherz’ge Rad des Lebens ein ganz anderes Gesicht; gehört es doch zu jenem gigantischen Räderwerk, das auch unter dem Begriffe „Gottes Mühlen” Eingang in die Literatur gefunden hat. Sie „ . . . mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein”, diese Mühlen – wie es der schles’sche Dichter Friedrich von Logau schon vor nahezu vierhundert Jahren formuliert hat. So lass’ ich gerne mich zermahlen und zerstoßen, bis nicht ein Grobes mehr vorhanden ist. Aus Korn wird Schrot, aus Schrot wird Brot. Wir sollen eine gute Nahrung sein, für alle, deren Lebensweg wir kreuzen. Und wenn’s ’mal wieder ganz dick kommen sollte, so denken Sie daran: Fortuna meint es gut mit Ihnen, will nicht strafen, sondern dienen! Es macht Sie stark – und mich. Gottlob, die Woche ist vorbei. So freu’ ich mich von Herzen an Jesaja, der da sagt: „Siehe, ich will dich läutern, aber nicht wie Silber, sondern ich will dich auserwählt machen im Ofen des Elends.”
stürm’ empor die Himmelsleiter,
häng’ ihn – an den Sternen auf!”
(Friedrich Nietzsche, die letzten Zeilen von An den Mistral)