Zwei untrennbare Geschwister: Geborgenheit und Fürsorglichkeit - mein 17200. Tag


s waren einmal zwei Geschwister, die hatten sich unendlich lieb . . .  doch das eine Schwesterlein, das auf den Namen Fürsorglichkeit hörte – und auch auf den Namen Demut; denn den gab ihm Schwester Geborgenheit lächelnd und wissend mit auf den Weg – diente einem aufbrausenden Herrn, unter dem es viel zu erdulden hatte. Herrisch war er, wie es einem richtigen Herrn wohl zu Gesichte steht, aufbrausend, und sehr, sehr klug.

„Willst du, dass dein Rösslein trabt,” – so sprach er gestern wieder einmal, „so gib ihm nur tüchtig die Sporen!” – und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schwang er sich auf das gesattelte Pferd, und flog wie ein Pfeil davon. So blieb die Dienstmagd zurück – unglücklich, verlassen und allein; zwar Herrscherin über Küche und Kammern, über polierte Töpfe und silberne Schüsseln, doch desjenigen entbehrend, der ihre treuen Dienste wertschätzend zu empfangen bereit gewesen wäre. Und da diese sonderbaren Geschwister die Fähigkeit besaßen, genau zu erspüren, wie es dem anderen wohl gerade ergehen möge, so übertrug sich das Leid des einen in Windeseile auf das andere. Sie konnten eben nur gemeinsam glücklich sein, denn so entsprach es ihrer wahren Natur.

Es war schon stockfinster, und tief in der Nacht, als der Herr zurückkehrte. Müde und ausgezehrt von den Beschäftigungen des vergangenen Tages warf er sich reumütig seiner Dienerin in die Arme.

„Verzeih’, verzeih’,
vernimm mein Flehn,
ich hab’ gesehn,
wie dir geschehn,
verzeih’, verzeih’,
so ist’s vorbei!
Nun hilf mich stärken,
speisen, tränken,
von den Schätzen,
in den Schränken,
die wir haben,
uns zu laben,
dass es fressen
nicht die Raben!
Ei! nun hurtig,
auf den Tisch,
köstlich muss es sein,
und frisch!”

Und die Dienerin, die sich schon zur Nachtruhe begeben hatte, mühte sich redlich, es ihrem ungeduldigen Herrn an nichts fehlen zu lassen.

Am nächsten Tag aber geriet der Herr in ein schweres Unwetter, und der ganze Himmel entlud seinen Zorn über demjenigen, der seine treue Magd so schmählich im Stich gelassen hatte. Der Donner schlug wie eine ohrenbetäubende Riesentrommel auf ihn ein, die Blitze zuckten, die Winde tobten, auf dass er gelobte, seiner Magd nie mehr ein Unrecht angedeihen zu lassen. Völlig durchnässt, musste er nun stundenlang frierend und zitternd ausharren, und gedachte dabei den schönen Stunden, wie sie gemeinsam am wärmenden Herdfeuer saßen, und sich an den Speisen aus Garten und Kammer gütlich taten. Und mehr und mehr öffneten sich ihm die Augen, was er doch eigentlich an seiner Magd besaß: und da sie ihm in seinen guten Stunden, in denen er bereit war, sein Herz nicht hinter den undurchdringlichen Schutzmauern seines Schlosses zu verriegeln, davon erzählt hatte, dass sie noch eine Schwester habe, die sie so selten sehen dürfe, die aber wisse, was wahre Liebe sei – so beschloss er, sie einzuladen, und ihr eine kleine Freude damit zu bereiten. Die Freude aber war grenzenlos, und der Jubel nahm kein Ende . . .  und man erzählt sich, dass man den Junker seit diesem Tag nie mehr ohne ein Lächeln auf dem Gesicht habe vorbeireiten sehen . . . 

Die Schlüssel

*das Märchen fußt auf meiner gestrigen Tagesschule; allerdings bin ich nicht geritten, sondern geradelt. Das Unwetter fand tatsächlich statt, das frieren und zittern mit durchnässter Kleidung auch (ich musste unterrichten, und durchhalten); ein sogenanntes schweres Mißgeschick, das immer zu gedanklicher Auseinandersetzung führen soll; denn das ist der höhere Sinn und Zweck eines Mißgeschicks (die Ursache eines Mißgeschicks liegt in einem Fehlverhalten des Vortages begründet – das können Sie durch aufmerksames Beobachten Ihres Tagesablaufs leicht überprüfen).

Seelisch lernen heißt eben auch, ungute Gefühle, wie sie aus Fehlentscheidungen resultieren, zu verstehen. Womit habe ich sie mir verdient? Nur derjenige, der sich intensiv um eine Antwort bemüht, wird sie letztendlich auch bekommen. Und dann geht es langsam und stetig aufwärts, und wir werden dem Sinn unserer Erschaffung immer mehr gerecht: nicht zu bleiben, wie wir sind, sondern zu wachsen, reifer, reicher, vielfältiger, und selbständiger zu werden – und zu erkennen, dass unser Potenzial nur durch die Grenzen gebunden wird, die wir ihm selbst auferlegen. Ewigkeit heißt Unendlichkeit – das gilt auch für unser in uns angelegtes Potenzial, und für jeden Entwicklungsschritt, mit dem wir wachsen können, grenzenlos, ewig — wenn wir es wirklich wollen.