Aufwachen! - mein 17206. Tag


rster Ferientag in Baden-Württemberg – und letzter „Arbeitstag” für mich als Musiklehrer. Die Teilnahme an diesem sogenannten „pädagogischen Tag” gilt als Pflicht, und darüberhinaus als Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung in Krisenzeiten. Referenten, heuer aus dem eigenen Stall, geben Erfahrungen und Erkenntnisse weiter, und Weiterbildung tut uns doch allen gut…

Da sitzen wir also, fast das gesamte Kollegium, und lauschen den Ausführungen der Kandidaten – doch manch einer in den hinteren Reihen träumt bereits von Sonne und Strand, andere hingegen von etwas näherliegendem: der nächsten Kaffeepause. Es zieht sich hin, doch damit nicht genug; Fragenbeantwortung muss auch noch sein. Die Diskussion dreht sich im Kreise. Ein Mobiltelefon lässt plötzlich seine eingespeicherte Melodie ertönen, und gleich darauf ein zweites. Was hat das zu bedeuten? War das nicht der Pausengong, das Zeichen zum abbrechen?

Doch die Zeichen wurden geflissentlich überhört – die Diskussion ging endlos weiter. Und wir blieben heiter, trotz dieser allgemeinen Verstandesentscheidung. Ist es denn so schwer, die Ereignisse der Tagesschule zu sehen, und überdies richtig zu interpretieren? Damit uns das gelingt, müssen wir schon unseren Verstand miteinsetzen, doch entscheiden sollten wir mit unserer Intuition, dem Bauchgefühl. In diesem Fall waren es einige Dutzend Augen und Ohren, für die das „Schauspiel” mit den Handys „bestellt” war; perfekt geplant und synchronisiert.

Sind wir denn alle blind und träumen durch den Tag? — Die Sprache der Tagesschule arbeitet mit Sinnbildern und Symbolen, und das Ertönen der Mobiltelefone, genau zu dem Zeitpunkt, als die Diskussionsrunde begann, sich im Kreis zu drehen, hatte nur eine einzige Botschaft: „Aufwachen, meine Damen und Herren, Zeit für eine erholsame Pause!”




• nomen est omen • - mein 17203. Tag


ch, man geht doch viel zu selten ins Theater. Was wurde denn gespielt, vergangene Woche? Drama und Komödie, Lustspiel und Tragödie, und das alles in einem Stück? Kein Problem. Ganz oben in der Gunst der Medien stand zweifelsohne „Der Fall Porsche”, ein Lehrstück um Macht und Intrigen, Spekulation und Gier, über menschliche Triebe also, und nicht über Liebe, denn auf ein Happy End warteten die Zuschauer in den niedrigeren Rängen vergeblich. Es ward zu einem Mammutstück, mit dem Untertitel „Der König nimmt seinen Hut – weil er nicht Kaiser werden darf”, und das Finale zog sich entsetzlich in die Länge, bis in die frühen Morgenstunden hinein; als sich der Vorhang endlich schloß, und das letzte Bühnenlicht erlosch, gingen die Kritiker erschöpft an ihre Arbeit, und wetzten ihre Federn – auf Rache sinnend, angesichts der erduldeten Pein und der horrenden Eintrittspreise . . .

Wir wollen nicht vorbehaltslos in den Chor der Kritiker miteinstimmen; wir wollen uns damit begnügen, das Licht auf unscheinbare Kleinigkeiten zu richten, die dennoch sich selber Genüge tun – indem sie für sich selbst sprechen. Ein Theaterstück lebt von seinen Protagonisten, und die Rollen waren glänzend besetzt: an erster Stelle König Wiede(r)king¹, der am Ende mit den Tränen kämpfend Krone und Zepter an seinen treuen Vasallen Macht² übergab; und im Hintergrund das Geschehen souverän beobachtend, still und zurückhaltend: die rechte Zeit zum Handeln abwartend, wie es den wirklich großen Feldherrn seit eh und jeh zu eigen war, Generalfeldmarschall Winterkorn³. Auch der Wulff mit seinen sieben Geißlein war mit von der Partie, doch musste er sich vorerst damit begnügen, die Regieanweisungen vorzulesen. Wir können an dieser Stelle nicht allzu sehr ins Detail abschweifen, das würde doch entschieden zu weit führen; es soll für heute genügen, dass wir erkennen, dass auch die Namen, die uns durch das Leben geleiten, einem höheren Ordnungsprinzip entnommen sind. Vor- und Nachnamen spiegeln uns in persönlichen Eigenheiten, Stärken oder Schwächen, positiven oder negativen Eigenschaften unserer Individualität, getreu dem Postulat von Mikrokosmos gleich Makrokosmos.

¹ jedes Jahr, nach Veröffentlichung der Bilanzen, staunte man von neuem: Wendelin Wiede(r)king war wieder König! King for just one day? Nein, oh nein, wieder und wieder, insgesamt siebzehn Inthronisationen haben wir erlebt, von 1992 bis 2009. Kein Wunder, dass ihn das Prozedere langweilte, und er endlich die unumschränkte Macht begehrte, die Kaiserwürde sollte es gar sein! Doch dazu war sein Königreich zu klein. Die Wende, die wir aus seinem Vornamen Wendelin prophezeien konnten, kam über Nacht. Die Macht wurde neu verteilt.
² Mit dabei, man höre und staune: Michael Macht, designierter Wiedeking-Nachfolger. Was wird er machen, mit der Macht, die er nun hat?
³ Klug ist der Bauer, der sein Feld im Winter bestellt – wenn alles schläft, und keiner daran denkt. Das verschafft ihm den notwendigen Vorsprung vor den Mitbewerbern. Ist Martin Winterkorn der Mann der Stunde, der VW zum Weltmarktführer machen kann? Wintergerste ist hart, robust, und kerngesund.

Wolfgang Porsche äußerte sich einmal, die Firma könne man sich auswählen, die Familie jedoch nicht. Ergänzend dürfen wir hinzufügen, dass wir in die passende Familie hineingeboren werden, rein zufällig natürlich; so fällt jedem das zu, was ihm gebührt. Und der, der uns diese Zufallsbälle unermüdlich in die Hände spielt, lächelt mild und weise. Leise, leise, dass es keiner merkt!




Zwei untrennbare Geschwister: Geborgenheit und Fürsorglichkeit - mein 17200. Tag


s waren einmal zwei Geschwister, die hatten sich unendlich lieb . . .  doch das eine Schwesterlein, das auf den Namen Fürsorglichkeit hörte – und auch auf den Namen Demut; denn den gab ihm Schwester Geborgenheit lächelnd und wissend mit auf den Weg – diente einem aufbrausenden Herrn, unter dem es viel zu erdulden hatte. Herrisch war er, wie es einem richtigen Herrn wohl zu Gesichte steht, aufbrausend, und sehr, sehr klug.

„Willst du, dass dein Rösslein trabt,” – so sprach er gestern wieder einmal, „so gib ihm nur tüchtig die Sporen!” – und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schwang er sich auf das gesattelte Pferd, und flog wie ein Pfeil davon. So blieb die Dienstmagd zurück – unglücklich, verlassen und allein; zwar Herrscherin über Küche und Kammern, über polierte Töpfe und silberne Schüsseln, doch desjenigen entbehrend, der ihre treuen Dienste wertschätzend zu empfangen bereit gewesen wäre. Und da diese sonderbaren Geschwister die Fähigkeit besaßen, genau zu erspüren, wie es dem anderen wohl gerade ergehen möge, so übertrug sich das Leid des einen in Windeseile auf das andere. Sie konnten eben nur gemeinsam glücklich sein, denn so entsprach es ihrer wahren Natur.

Es war schon stockfinster, und tief in der Nacht, als der Herr zurückkehrte. Müde und ausgezehrt von den Beschäftigungen des vergangenen Tages warf er sich reumütig seiner Dienerin in die Arme.

„Verzeih’, verzeih’,
vernimm mein Flehn,
ich hab’ gesehn,
wie dir geschehn,
verzeih’, verzeih’,
so ist’s vorbei!
Nun hilf mich stärken,
speisen, tränken,
von den Schätzen,
in den Schränken,
die wir haben,
uns zu laben,
dass es fressen
nicht die Raben!
Ei! nun hurtig,
auf den Tisch,
köstlich muss es sein,
und frisch!”

Und die Dienerin, die sich schon zur Nachtruhe begeben hatte, mühte sich redlich, es ihrem ungeduldigen Herrn an nichts fehlen zu lassen.

Am nächsten Tag aber geriet der Herr in ein schweres Unwetter, und der ganze Himmel entlud seinen Zorn über demjenigen, der seine treue Magd so schmählich im Stich gelassen hatte. Der Donner schlug wie eine ohrenbetäubende Riesentrommel auf ihn ein, die Blitze zuckten, die Winde tobten, auf dass er gelobte, seiner Magd nie mehr ein Unrecht angedeihen zu lassen. Völlig durchnässt, musste er nun stundenlang frierend und zitternd ausharren, und gedachte dabei den schönen Stunden, wie sie gemeinsam am wärmenden Herdfeuer saßen, und sich an den Speisen aus Garten und Kammer gütlich taten. Und mehr und mehr öffneten sich ihm die Augen, was er doch eigentlich an seiner Magd besaß: und da sie ihm in seinen guten Stunden, in denen er bereit war, sein Herz nicht hinter den undurchdringlichen Schutzmauern seines Schlosses zu verriegeln, davon erzählt hatte, dass sie noch eine Schwester habe, die sie so selten sehen dürfe, die aber wisse, was wahre Liebe sei – so beschloss er, sie einzuladen, und ihr eine kleine Freude damit zu bereiten. Die Freude aber war grenzenlos, und der Jubel nahm kein Ende . . .  und man erzählt sich, dass man den Junker seit diesem Tag nie mehr ohne ein Lächeln auf dem Gesicht habe vorbeireiten sehen . . . 

Die Schlüssel

*das Märchen fußt auf meiner gestrigen Tagesschule; allerdings bin ich nicht geritten, sondern geradelt. Das Unwetter fand tatsächlich statt, das frieren und zittern mit durchnässter Kleidung auch (ich musste unterrichten, und durchhalten); ein sogenanntes schweres Mißgeschick, das immer zu gedanklicher Auseinandersetzung führen soll; denn das ist der höhere Sinn und Zweck eines Mißgeschicks (die Ursache eines Mißgeschicks liegt in einem Fehlverhalten des Vortages begründet – das können Sie durch aufmerksames Beobachten Ihres Tagesablaufs leicht überprüfen).

Seelisch lernen heißt eben auch, ungute Gefühle, wie sie aus Fehlentscheidungen resultieren, zu verstehen. Womit habe ich sie mir verdient? Nur derjenige, der sich intensiv um eine Antwort bemüht, wird sie letztendlich auch bekommen. Und dann geht es langsam und stetig aufwärts, und wir werden dem Sinn unserer Erschaffung immer mehr gerecht: nicht zu bleiben, wie wir sind, sondern zu wachsen, reifer, reicher, vielfältiger, und selbständiger zu werden – und zu erkennen, dass unser Potenzial nur durch die Grenzen gebunden wird, die wir ihm selbst auferlegen. Ewigkeit heißt Unendlichkeit – das gilt auch für unser in uns angelegtes Potenzial, und für jeden Entwicklungsschritt, mit dem wir wachsen können, grenzenlos, ewig — wenn wir es wirklich wollen.




Konsequenzen: mein Waterloo . . . - der 17193. Tag


ennen Sie diese Tage, an denen man sich schwört „Nie wieder!”? Nein? – Soll ich sie darum beneiden? Ich gönne Ihnen Glück und Freude, wenn Sie es sich wahrhaftig selbst verdient haben, denn jeder ist seines Glückes Schmied. Diese Woche hatte ich kräftig neben den Amboß geschlagen – und gestern war der Höhepunkt: ein Mißgeschick nach dem anderen – so macht das Leben wirklich keine Freude. Doch die Woche der Reihe nach:

Wie hat sich Napoleon wohl nach seiner Niederlage bei Waterloo gefühlt? Er war tapfer, und liess sich nicht unterkriegen. So leicht gab er sich nicht geschlagen. Ich werde weitermachen. Natürlich, ist doch klar, oder? Die Talsohle ist erreicht und durchschritten, ich habe wieder einmal erlebt, wie es ist, in allem seinen eigenen Willen, sein kleines Ego, durchzusetzen. Und das Resumée?

Ich kann tun, was ich will, und ich leide;
ich soll tun, was ich soll, und ich meide
– Frust und Verzagen -
- Leiden und Klagen -
- Schimpfen und Schande –
- löset die Bande –
- lindert die Schmerzen –
- wünschet von Herzen!¹

¹ auch Baron von Münchhausen musste sich an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpfe ziehen, und so auch wir!




Alles Gute kommt von oben - mein 17185. Tag


u Fuß bin ich unterwegs, sommerlich leicht bekleidet, und denke an nichts böses; da lässt mich ein mächtiger Donnerschlag zum Himmel blicken: ein schwarzes Wolkenungetüm hat sich vor die weißen Wolkenberge gedrängt, und droht mit einer baldigen Tränkung der dürstenden Mutter Erde. Mich dürstet es momentan überhaupt nicht, und so beschleunige ich meine Schritte; erledige meinen Einkauf, und steige meinen Hausberg hinan.
„Von allen Befürchtungen, die wir hegen, treten zum Glück nur die Schlimmsten ein . . . ” schrieb einst der große Romancier Marie Henri Stendhal, und er schrieb sicherlich aus ureigenster Lebenserfahrung. Drei Viertel des Weges habe ich bereits hinter mir, und noch bin ich trocken – bis auf den Schweiß, der mir der beschwerliche Anstieg durch die Poren treibt. Da geht es los, mit den ersten schweren Tropfen; ein kurzes Vorspiel nur, denn dann öffnet der Himmel seine Schleusen, und schüttet alles aus, was er nur auszuschütten hat. Ich gleiche einem begossenen Pudel, so darf ich wohl sagen, alles ist pitschepatsche nass — bis auf meine Füße, die in wasserdichten Schuhen stecken. Ha! Ein Geschenk meiner Patentante – sie lebe hoch (und länger noch), samt den Schuhen, die ihre Feuertaufe glänzend bestanden haben. Frisch gewaschen komme ich nach Hause, und irgendwie fühle ich mich erleichtert – und ebenso leichter¹ in meinem Körper.

¹ Im Nachhinein wurde mir wieder einmal bewußt, wie innere und äußere Vorgänge miteinander synchronisiert werden. Die große „Waschung” fand seine Entsprechung in den Reinigungsvorgängen, die durch die starke körperliche Beanspruchung in Gang gesetzt wurden; dass eine erhöhte Schlackenverbrennung und Aschenausscheidung stattgefunden hatte, spürte ich am folgenden Tag sehr deutlich an den unangenehmen Gliederschmerzen; doch umso größer war die Freude über meine frischgewaschenen Körperzellen.