• Die Zügel aus der Hand geben •


oder:

Zauberlehrlinge sind wir!

Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch.

Walle, walle
manche Strecke,
dass zum Zwecke
Wasser fließe

und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße!
 
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen;
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!

Walle, walle
manche Strecke,
dass zum Zwecke
Wasser fließe

und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße!
 
Seht, er läuft zum Ufer nieder -
wahrlich, ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
deiner Gaben
vollgemessen! -

Ach, ich merk’ es! Wehe! wehe!
Hab’ ich doch das Wort vergessen!
 
Ach, das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
bringt er schnell herein,
ach, und hundert Flüsse
stürzen auf mich ein!

Nein, nicht länger
kann ich’s lassen,
will ihn fassen.
Das ist Tücke!

Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!
O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh’ ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!

Willst’s am Ende
gar nicht lassen?
Will dich fassen,
will dich halten

und das alte Holz behende
mit dem scharfen Beile spalten.
 
Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
gleich, o Kobold, liegst du nieder!
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich, brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte

völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach, ihr hohen Mächte!
 
Und sie laufen! Nass und nässer
wird’s im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
werd’ ich nun nicht los.

»In die Ecke,
Besen, Besen!
Seid’s gewesen.
Denn als Geister

ruft euch nur zu diesem Zwecke
erst hervor der alte Meister.«

Der Zauberlehrling,
Johann Wolfgang von Goethe

Harry Potter, der Zauberlehrling, ist sicherlich der berühmteste Junge der Welt. Joanne Kathleen Rowling hatte ihn im Jahr 1995 zur Welt gebracht, und sie löste damit eine Welle der Begeisterung aus, die sie zur erfolgreichsten Schriftstellerin der Menschheitsgeschichte emporhob. Nur mit der Kraft und der Magie des Geistes neue Realitäten zu erschaffen, das ist es doch, was uns seit jeher fasziniert.

Doch nicht nur Harry Potter, alle Zauberlehrlinge müssen erst einmal gründlich in Erfahrung bringen, wie die Kraft des Geistes zu gebrauchen ist. Aus Spiel wird Ernst, wenn Unvernunft frei walten kann. Wer Walt Disneys Meisterwerk „Fantasia” aus dem Jahr 1940 kennt, dem werden sich die Bilder unauslöschlich eingeprägt haben, wie Micky Maus als Zauberlehrling verzweifelt versucht, den Geistern Einhalt zu gebieten, die er ohn’ Erlaubnis rief (im Zeichentrickfilm als eingebettete Episode auf die berühmte Musik von Paul Dukas). »Lasst ab, ihr Geister, hört ihr mich?«

»Natürlich hören sie dich, welche Frage!« Sie warten nur darauf, dass wir mit ihnen sprechen, sie bitten und um Rat befragen. Doch nicht, nachdem wir gehandelt haben, sondern bereits davor. »Genau das ist es, was uns plagt – wenn ich was tu’, hab’ ich gefragt?«»Das Leben hält uns eh so klein, wie wär’s, einmal der Herr zu sein?« Das wäre an sich kein Problem, wenn wir mehr Demut uns erwerben könnten.

Demut heißt, die Zügel aus der Hand zu geben. Heutzutage werden sich, vor allem in den fortgeschrittenen D-A-CH-Ländern, mehr und mehr Menschen bewusst, wer und was sie eigentlich sind: Geschöpfe einer allmächtigen Geisteskraft (die man uns Abendländer GOTT zu nennen gelehrt hat), die uns als unbegrenzt entwicklungsfähige Individualitäten nach ihrem eigenen Bauplan entworfen und ins Leben gerufen hat; Zauberlehrlinge sind wir mithin, mit der Aufgabe, hier auf der Erde die Bedingungen für ein ewiges Leben zu meistern: erst dann beginnen wir, den Zauber wahrer, seelischer Liebe zu erfassen und zu vermehren. Als Zaubergesellen folgen wir sodann dem Weg der Meister, die uns vorangegangen sind. Jesus Christus ist ein solcher Meister, der bereits vor langer, langer Zeit schon durch seine Meisterprüfungen hindurchgegangen ist. Was Wunder also, dass Jesus zum Symbol der Demut geworden ist – zu Recht! Denn niemand kommt ihm gleich.

Viele Wege führen nach Rom

»Sieh dich für!« Nur ein Weg führt zur Wahrheit.

»Wo geht es lang?« Wir wissen’s nicht. Und ohne Führung sind wir vollkommen verloren. Wenn wir etwas aus den Geschehnissen von Fukushima lernen können, dann ist es das: wenn unser ICH entscheidet, irren wir. Das gilt im Kleinen wie im Großen, in unserer individuellen Tagesschule wie auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Die bis zum Ende des vergangenen Jahrtausends überwiegend im unbewussten Tagtraum gefangene Menschheit lebte nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Doch jetzt, da die Menschen langsam erwachen, und ihr Potenzial zu erahnen beginnen, ist dieses Prinzip gefährlich geworden. Denn gerade die Verstandeskräfte verleiten uns dazu, uns unsrer Kraft zu rühmen, und in der Folge eigenmächtig zu handeln. Deshalb müssen wir das Prinzip von Versuch und Irrtum in der richtigen Reihenfolge erweitern: Bitten, Fragen, Versuch, Erkenntnis!

Die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, und entsprechende Konsequenzen zu ziehen – auch wenn sie unbequem sind – ist ein Anzeichen von Selbstlosigkeit und Demut.

Holzspaltung oder Atomspaltung? Die Intuition weiß die richtige Antwort, bevor wir eine Entscheidung treffen.

Dass wir uns nun in Deutschland innerhalb weniger Jahre von der Atomkraft verabschieden, zeigt auf, dass dieses erweiterte Lebensprinzip von Bitten, Fragen, Versuch und Erkenntnis mehr und mehr auf fruchtbaren Boden fällt. »Ein mutiges Zeichen, das Hoffnung macht!«

Irren ist menschlich. Führung ist göttlich. Sturheit ist tödlich.

Das Festhalten an Prinzipien, Mechanismen, Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen, die sich als trügerisch und riskant erwiesen haben, verhindert die Höherentwicklung allen Lebens, und damit die Entfaltung des Universums. Deshalb kann Sturheit nicht bleiben; sie muss gebrochen werden, wie nun in Japan. Und so paradox es zunächst auch klingen mag: wenn Sturheit bricht, erstarkt das Rückgrat; der Mensch geht hernach aufrechter als je zuvor, wie ein Phönix, der aus der Asche steigt.

Nun werdet groß! – und klein zugleich. Die Allmacht wird euch immer führen; führen müssen. Sie ist die Kraft, die euch erschafft, euch Vater, Mutter, Geist, und Schöpfer ist. In euch wohnt sie, in jeder Zelle, ihr atmet sie, esst und verdaut sie, fühlt sie, spürt sie – und fasst sie doch so wenig! Liebt sie, fürchtet sie, und ehrt sie, euer Leben lang! Dann ist euch nicht mehr bang. Fortan begegnet ihr der Welt ohn’ Angst und Furcht – was immer auch geschieht, und noch geschehen mag. Ihr aber freuet euch allhier an jedem Tag!




Sturheit unter der Lupe - mein 17333. Tag


Wie würden Sie antworten, wenn Ihnen jemand folgende Frage stellt:

»Sind Sie stur?«

it Sturheit identifizieren wir uns nicht so gerne, oder? Es fällt uns schwer, den Begriff der Sturheit zu umschreiben, und noch viel mehr, Sturheit an uns selbst wahrzunehmen. Dagegen ist es geradezu ein Kinderspiel, sture Verhaltensweisen bei anderen Menschen zu erkennen, und sich darüber zu ärgern. Redewendungen wie „So ein sturer Bock aber auch!” legen ein Zeugnis davon ab.

Vorsicht Spiegelung! Wer sich bereits ein klein wenig mit dem Spiegelprinzip auseinandergesetzt hat (»Wie außen, so innen«; siehe Spiegelgesetze), der wird sich einer Beurteilung anderer Menschen zu enthalten versuchen; denn er ahnt, dass die Sturheit, die er an seinem Gegenüber wahrnimmt, letztendlich zu ihm selbst gehört.

Wenn du den Zeigefinger auf andere richtest, zeigst du dann nicht auch auf dich selbst? Ein Finger deiner Hand zeigt von dir weg, und vier Finger zeigen auf dich. Probier es einfach aus.
 
Jesus gebraucht für diesen Zusammenhang ein klares Bild:
 

»Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?«
 
Matthäusevangelium, Kp. 7,3

Also gut. Wir entscheiden uns für den schwierigeren, doch seelisch weitaus lohnenderen Weg: wir machen uns auf die Suche nach dem Balken im eigenen Auge, dem Balken, der uns seelisch blind macht; er symbolisiert nichts anderes als unsere falsche seelische Sicht.

„Ich will! Ich will! Ich will!”

»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!«
». . . und auch sein Höllenreich!«

 

so müssen wir ergänzen, wenn wir die ganze Wahrheit zu erfassen suchen.

Sturheit ist nichts anderes, als in den kleinen Entscheidungen des Alltags überwiegend seinen eigenen Willen durchzusetzen, entgegen der feinen Stimme der Intuition, die oftmals etwas anderes von uns fordert. Wir müssen lernen, unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen zu überprüfen.

„Ich will! Ich will! Ich will!”
„Soll ich?”
„Sollte ich wirklich?”
 

Wer sich in Entscheidungssituationen leichten Herzens von seinem eigenen Willen verabschieden kann, der hat mit Sturheit keinerlei Probleme, denn er kann etwas, was mir schwerfällt:

das Kapitulieren.

Wie schön, dass es die Tagesschule gibt! Mit ihrer Hilfe können wir den Balken im eigenen Auge erkennen. Erkennen wir die Tagesschule, erkennen wir in ihrem Spiegel mehr und mehr uns selbst. Selbsterkenntnis aber ist es, was uns Flügel verleiht.

So will ich euch nun ein wenig von meiner Tagesschule erzählen, damit ihr besser versteht, wie sie mit uns arbeitet.

Es ist Ende November, die Lebenssäfte sind aus den Bäumen gewichen, und die Forstverwaltung hat jetzt alle Hände voll zu tun. Die Motorsägen kreischten in den vergangenen Tagen um die Wette, und manchmal drang der dumpfe Aufprall einer mächtigen Tanne an mein Ohr. Mein Freund, der Baum, ist tot; er starb im Morgenrot . . . (erinnern Sie sich noch an das schöne Lied, das die Schlagersängerin Alexandra Ende der sechziger Jahre gesungen hat?)

Heute (bezieht sich auf Donnerstag letzter Woche) muss ich zum Unterrichten, und meine Fahrradstrecke führt einige Kilometer durch den Wald. Zwei Möglichkeiten gibt es, den Berg hinauf, und oben am Hang entlang, oder in mittlerer Hanglage immer leicht ansteigend bis zur Hochfläche. Für gewöhnlich nehme ich den unteren Weg, weil er weniger Kraft kostet, als der obere.

Schon vergangene Woche kam ich in Schwierigkeiten: ohne Zeitreserve eingeplant zu haben, stand ich vor einem rotweiß gemusterten Band, und einer Warntafel mit der Aufschrift „Vorsicht Forstarbeiten! Durchgang verboten. Lebensgefahr!” Ich stand still und horchte. Nichts war zu hören, außer dem Schweigen des Waldes. Ein Blick auf die Uhr. Die Zeit war knapp kalkuliert. Ich ging über alle Warnungen hinweg, und beschwichtigte diese noch mit Gedanken wie „das war doch schon so oft, dass tagelang die Absperrung nicht entfernt wurde, obwohl alle Baumfällarbeiten längst abgeschlossen waren”. Doch so ganz wohl fühlte ich mich nicht in meiner Haut, als ich den Weg entlangradelte. 2/3 der Waldstrecke lagen bereits hinter mir, und ich begann schon zu triumphieren: »Siehst du wohl, ich hab es doch gewusst!« — da versperrte mir eine gefällte Kiefer den Weg. Ich stolperte mit dem geschulterten Fahrrad über die sperrigen Äste und das dichte Nadelkleid, und schaffte es mit Müh’ und Not, schwitzend und keuchend, über den Stamm hinwegzukommen.

Szenenwechsel, gleiches Spiel, eine Woche später: klug geworden aus der vergangenen Woche? »Ob sie den Baum wohl inzwischen weggeräumt haben? Heute mache ich es clever. Ich nehme den oberen Weg.«

Nicht zu übersehen: ein Warnsignal.

Zuerst muss ich schieben, ein schmaler, ansteigender Fußpfad. Ein roter Handschuh liegt am Boden, nicht zu übersehen. Er springt mir direkt ins Auge, als ob er mir etwas sagen wollte. »Weiter! Keine Zeit verlieren!« Doch wenige Meter danach ist der Weg zu. »Zum Glück nur kleinere Bäume und Äste! Da kommst du durch! Es ist nicht mehr weit bis zum Hauptweg! Ich muss unbedingt zur Brauerei, um Bierhefe zu holen!« — ich hatte telefonisch eine feste Uhrzeit zum Abholen ausgemacht. Und so schultere ich erneut das Rad, um mich durch das Dickicht zu kämpfen, mit zitternden Beinen. Endlich stehe ich auf dem Hauptweg. Alles scheint frei zu sein, und keine Absperrung ist zu sehen. »Nichts wie los!« Ich trete in die Pedale, und bin fast durch, da —— blockiert ein Forsttraktor den gesamten Weg. Als ich mich vorbeigeschlängelt habe, schaue ich auf eine langgestreckte Tanne, die von zwei Forstarbeitern bearbeitet wird. Entgeistert schauen wir uns gegenseitig an, und ich gerate in Erklärungsnot. »Ich bin an keiner Absperrung vorbeigekommen . . . ich muss hier durch, muss dringend zur Arbeit . . .«»Und was ist, wenn Sie morgen tot sind?« antwortet mir der Arbeiter mit seinem orangefarbenen Schutzhelm auf dem Kopf. Es stellt sich heraus, dass ich nur deshalb nicht an der Hauptabsperrung vorbeigekommen war, weil ich zu Beginn der Fahrt jene Abkürzung gewählt hatte, die mich am roten Handschuh vorbeiführte. Als ich einwende, dass beide Wege gesperrt seien, klärt mich der Forstarbeite
r auf, dass der untere Weg inzwischen frei sei. »So ein Pech!« Doch dass ich auch umdrehen, zurückfahren, und den unteren Weg nehmen könnte, kommt mir gar nicht erst in den Sinn. »Ich will meine Bierhefe!« – das ist mein einziger Gedanke. Und so lotst mich ein Waldarbeiter mit der Motorsäge in der Hand durch den Wald, an der gefällten Tanne, die den Weg versperrt, vorbei. Die Zeit drängt immer mehr, ich schwinge mich in den Sattel, und erhöhe nach und nach die Geschwindigkeit, bis die Umgebung nur so an mir vorbeifliegt. »Was ist denn das?« Bevor ich es richtig realisieren kann, und in die Eisen steige, macht es „rrrratsch!” – ich bin durch die Absperrung am anderen Ende des Waldwegs hindurchgebraust; das weißrote Schutzband ist zerrissen – es war aus Plastikfolie, Gott sei Dank. Auf den letzten Metern hinunter zur Brauerei begegnet mir ein Spaziergänger mit seinem Hund, wir grüßen uns. »Endlich da!« Ich schaue auf die Uhr. Es ist eine Viertelstunde später als telefonisch avisiert. Die Tür ist abgesperrt, es macht niemand auf, das Auto des Brauereimeisters ist nicht zu sehen. »Bierhefe ade!« Ich stehe da, und ——— stehe still. Endlich. 5 Minuten vor 12. Endlich begreife ich, dass es so nicht weiter geht. Eigenmächtig handeln, meinen Willen durchsetzen, koste es, was es wolle, und wenn man sein eigenes Leben dabei aufs Spiel setzt? Wie sagte der Forstarbeiter? »Und was ist, wenn Sie morgen tot sind?« Habe ich danach gefragt, was heute wirklich dran ist?

Nachdenklich radle ich zum Unterricht weiter, zuerst ein Stück den selben Weg zurück; die heutigen Erlebnisse gehen mir durch den Kopf, und auch die zurückliegenden Wochen. Überdeutlich spüre ich, dass ich aus dem Lot geraten bin, mich vollkommen überlastet habe, und mehr und mehr mit dem Kopf durch die Wand gegangen bin, ungefragt und ungeprüft. »Dein Wille geschehe!« Von wegen. Mein Wille war geschehen. Die Konsequenzen? Ein Tag wie heute, und das tagtäglich?? Nein danke, dass muss ich mir nicht geben. Leben will ich, glücklich und gesund. Ich versuche, mir selbst zu vergeben. Endlich kann ich wieder von Herzen wünschen, um Führung von „oben ” bitten — und darum, dass ich die Kraft finden möge, nicht blind zu handeln, sondern innezuhalten, um meine täglichen Entscheidungen sorgfältiger zu überprüfen. »Wen seh ich da, den kenn ich doch?« Ich komme an dem Spaziergänger mit seinem Hund vorbei, der auch mich wieder erkennt. Er nimmt wohl an, dass ich mich verfahren habe, und ruft mir zu: »dees isch dr richtige Weg!«

Sieh einer an! »Das ist der richtige Weg!« – übersetzt für die des schwäbischen Dialekts Unkundigen. Was ist der richtige Weg? Der Weg, der zu mehr Ehrlichkeit in unseren Entscheidungen und weniger Sturheit in unserem Verhalten führt — und weiter zur Selbsterkenntnis, zur Freude, zum Glück, zur Liebe, zum Seelenfrieden. Und wie sieht er aus, dieser Weg? Bitten, Wünschen, Fragen, Prüfen! Darauf vertrauen, dass es eine weise Führung gibt, die es gut mit uns meint. Und diese weise Führung hilft uns, indem sie uns den lieben langen Tag mit Geschehnissen konfrontiert, die wir selbst heraufbeschworen haben — nicht, um uns zu strafen, sondern um uns zu schulen, so dass wir erkennen können, ob wir objektiv betrachtet (aus höherer Warte) richtige oder falsche Entscheidungen getroffen haben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darum bemühen, unsere Tagesschule zu erkennen, und aus ihr lernen. Das hilft der Entfaltung unserer seelischen Werte enorm.

Zusammenfassung meiner Erkenntnisse aus der geschilderten Tagesschule:

  1. Wenn wir immerzu eigenmächtig (stur) entscheiden, werden wir auf die falsche Fährte gelockt; wir werden „blind” für die Wahrheit, und können den richtigen Weg nicht mehr vom falschen Weg unterscheiden.
    Wer stur an seinem einmal eingeschlagenen Weg festhält, verliert seine Fähigkeit, zu kapitulieren. Und immer gibt es Alternativen, die jedoch nur der erkennen darf, der bereit ist, sein Handeln jederzeit zu hinterfragen.
    • Erste Alternative: der untere Waldweg wäre frei befahrbar gewesen.
    • Zweite Alternative: wäre ich nicht zur Brauerei gefahren – was nichts gebracht, und nur Zeit, Nerven, und Energie gekostet hat – so wäre genügend Zeit zum Umdrehen gewesen, um entspannt auf dem unteren Weg, der ja frei war, zum Ziel zu gelangen.

    Wie sagte Friedrich Nietzsche in weiser Erkenntnis: „Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel.”

  2. Zweimal geriet ich mit dem Fahrrad auf den „Holzweg” – ein Symbol für die Sackgassen, in die man gerät, wenn man längere Zeit unehrlich (entgegen den Warnungen seiner Intuition) gehandelt hat.
  3. Wir erhalten Warnungen, wenn wir dabei sind, Fehlentscheidungen zu treffen. Der rote Handschuh signalisierte mir: STOP – Sie sind auf dem falschen Weg; ebenso das durchstoßene und zerrissene Absperrband, das mir signalisierte, dass ich wichtige Gebote missachtet und überschritten hatte.
  4. In den Äußerungen und Handlungen anderer Menschen, die von dem, was in unserer Tagesschule läuft, nichts ahnen, stecken häufig Schlüsselbotschaften für uns. Menschen, denen wir begegnen, bekommen zur rechten Zeit das Gefühl für das rechte Wort, das bei uns „den Groschen fallen lässt” (Synchronizität der Ereignisse) – doch nur, wenn wir von uns aus positive Neugier entwickeln, und auch wirklich dahinter kommen möchten. Meine Schlüsselbotschaften waren also:
    • Warnung, dramatisch (die mögliche Konsequenzen der Sturheit aufzeigt): »Und was ist, wenn Sie morgen tot sind?« (Forstarbeiter)
    • Bestätigung einer Veränderung meiner inneren Einstellung durch positives wünschen: »dees isch dr richtige Weg!« (Spaziergänger)




Vergeben, Lektion 3 - mein 17163. Tag


inmal im Jahr kommt eine besonders harte Nuß im Bereich „Vergeben”. Wie lange benötige ich, um wieder unbelastet und innerlich unbeschwert zu sein?
Vergangenen Herbst: ich stelle den Antrag auf „Bezahlung per Lastschriftverfahren” bei einem großen deutschen Transportunternehmen, damit ich schnell und einfach online buchen kann. . .

Faxe alle benötigten Unterlagen zu (hat Arbeit gemacht), warte auf die Bestätigungsmail, die einige Tage später kommt. Versuche, ein Ticket online zu buchen, geht nicht, mehrmals versucht…(zeitintensiv). Forget it, löse die Sache anders. Vor zwei Wochen: benötige erneut ein Ticket, erneuter Anlauf. Habe zwischenzeitlich den Stand vom vergangenen Herbst vergessen, versuche online, ein Ticket zu lösen. Funktioniert nicht, mir dämmert wieder, dass da was war…Suche, suche, suche, warte, warte, warte in der Telefonhotlineendlosschleife, werde weitergeleitet, ein Mitarbeiter vertröstet mich einen endlos langen Moment (alles auf meine Kosten), und klärt mich auf: „Ja, sie sind angelegt, aber nicht freigeschaltet! Bitte faxen Sie die kompletten Unterlagen noch einmal zu, dann ist in zwei Tagen alles erledigt.” – Der Zorn beginnt, hochzusteigen, ich beherrsche mich. Habe ich die Unterlagen noch? Weiss er, wieviel Zeit und Nerven mich die ganze Sache schon gekostet hat? Ich sende das zweite Fax. Einen Tag später ein Rückruf auf dem AB: „Ja, wunderbar, hat alles gut funktioniert mit Ihrem Fax. Leider habe ich vergessen, zu erwähnen, dass Sie das ursprüngliche Antragsformular auch noch einmal mitfaxen müssen, damit Ihr Antrag zügig bearbeitet werden kann!” – Ich begehe im Geiste ein Tötungsdelikt. Was für eine Faxerei! Beherrsche mích, und sende das dritte Fax. Von der Sache höre ich nichts mehr. Eine Woche später erneuter Versuch, online zu buchen. Nichts geht…Suche, suche, suche, warte, warte, warte in der Telefonhotlineendlosschleife, werde weitergeleitet, eine Mitarbeiterin vertröstet mich einen endlos langen Moment (alles auf meine Kosten), und klärt mich auf: „Ja, sie sind angelegt, aber nicht freigeschaltet!” – mit meiner Beherrschung bin ich am Ende, ich werde laut und deutlich, sie zuckt mit den Schultern und meint, sie könne die Sache nur weiterleiten, sie selbst könne da auch nichts machen, das System…ich fange an, laut und unhöflich zu werden – sie stellt ihr Headset auf Bypass, lässt meine angestauten Aggressionen ins Leere laufen, ich höre nur noch das mechanische Klappern irgendwelcher Tastaturen…
Ich erwürge und stranguliere jeden Mitarbeiter einzeln, entlasse sie als fiktiver Chef mit einem Tritt in den Allerwertesten, und habe nicht einmal einen Sandsack, um mich abzureagieren.
Später bereue ich mein Verhalten, ich wünschte, ich könnte in extremen Situtionen wie dieser innerlich ruhiger bleiben. Sollte ich mir die Zeit nehmen, um einen Beschwerdebrief an die Geschäftsleitung aufzusetzen? Was sagt die Intuition? Nein, brauchst du nicht, das ist nicht deine Aufgabe. Willst du dich beschweren, n o c h — m e h r ? Ist dir die Last nicht schwer genug, die bereits auf deinen Schultern ruht? Wirf ab, was dich drückt, vergib dir selbst das eigene Fehlverhalten, und lerne aus den Fehlern, die die anderen machen. Mehr brauchst du nicht zu tun.

Als ich innerlich losgelassen und vergeben habe, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. „Dein Wille geschehe…” – der höheren Vernunft zu folgen, ist auf Dauer das einzig wirklich Sinnvolle. Die OnlineTicketbuchung interessiert mich nicht mehr. Es hat sich wie von Zauberhand eine praktikablere und einfachere Lösung ergeben…




Vergeben, Lektion 2 - mein 17162. Tag


as schwierigste zu verstehen in dieser Welt ist sicherlich sich selbst, oder? Was unterscheidet den Klugen vom Törichten? Der Törichte macht jeden Tag dieselben Fehler, der Weise macht dagegen jeden Tag andere.
Seit langer Zeit arbeite ich an dem einen Thema, dem Dreh- und Angelpunkt, der mich (noch) gefangen hält: gelassen und geduldig, fröhlich und unverzagt die Arbeit zum richtigen Zeitpunkt abzubrechen (dann, wenn es Zeit für andere Dinge ist – vornehmlich für Ernährung, Entspannung, Regeneration und Schlaf), mich nicht stur festzubeißen in den Schwierigkeiten, die in schöner Regelmäßigkeit kurz vor dem richtigen Zeitpunkt zum Abbrechen auftauchen, mich nicht hineinziehen zu lassen in diese hinterlistigen Eingebungen des Verstandes: „…noch eine halbe Stunde, dann hast du das und das wenigstens abgeschlossen…” Aus halben Stunden werden ganze Stunden, aus ganzen Stunden ganze Nachmittage, und über ganze Nachmittage legt sich schon das Dunkel der Nacht…
Ich handle unvernünftig, obwohl ich das im tiefsten Grunde meines Herzens nicht möchte. Wie kann man seine Ketten ablegen, die uns in den Mauern des eigenen Kerkers gefangen halten?
Rekapituliere: Gestern abend, Punkt 23:21 Uhr – Schluß, kann nicht mehr, taumle aus dem Büro. Es war wie im Krieg. Keiner war bereit, die weiße Fahne zu hissen. Keiner wollte KAPITULIEREN; doch das ist meine Aufgabe. Jesus Christus kann das besser als jeder andere. Kapitulieren, das eigene Wollen hintanzustellen, und bereit zu sein, der Führung von „oben” zu gehorchen. Demut nennt man das. Wahrlich, ich bewundere ihn vielleicht mehr als mir gut tut – denn es zeigt mir um so deutlicher meine eigenen Wunden auf.
Nun gut, heute morgen, nach wenig Schlaf, Gliederschmerzen und bleierner Schwere üben wir zu vergeben – dem Schicksal, das es böse mit mir meint? Ach nein, viel eher den Schnecken, die sich an dem vom Wind umgeworfene Basilikumtöpfchen gütlich getan haben, und natürlich mir, für das gestrige Scheitern. Ich schaff’ das schon. Dann winkt der Lohn! Und den möchte ich haben, unbedingt…

„Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt…”
Friedrich Schiller, eingekerkert auf der Festung Hohenasperg




Vergeben, Lektion 1


ierhefe ist ein „Wundermittel” für die Jugendlichkeit des Körpers. Das wussten bereits die alten Phönizier und Ägypter. Meine tägliche Portion Bierhefe – dafür geh’ ich meilenweit! Da ich kein Auto zur Verfügung habe, radle ich einmal die Woche Berg rauf, Berg runter, zur nächsten Privatbrauerei, um mir meine Wochenration abzuholen. Da es nur eine kleine Brauerei ist, haben sie wenig Bierhefe; deshalb rufe ich jedesmal an, frage, ob ich etwas bekommen kann, und dann tret’ ich in die Pedale. Gestern: „Kann ich kommen?” – „Moment, i guck môl…i kô vo dr obergäriga was abschöpfa, isch dees ok?” – „Ja, gerne!” – „Wann kommed se denn?” – „Kurz nach sechs!” – „In Ordnung, i schtells dann raus ums Egg!” – „Alles klar, vielen Dank.” Strampel, strampel, schwitz, schwitz, kurz nach sechs, ist kein Witz: ich bin ich da, schau’ ums Eck, nichts steht da, Hefe weg! Aaaaaarrrrg! Da beißt man wirklich ins Gras. Alles Toben hilft nichts. Feierabend, niemand mehr da. Auf dem Rückweg übe ich Vergebung. Dem Braumeister, der’s vergessen hat – das fällt leicht, schließlich vergesse ich auch oft Dinge, die mir persönlich nicht so wichtig sind. Mir selbst – das fällt schon deutlich schwerer, schließlich habe ich doch keine Fehler gemacht, oder? Oder doch? Brauche ich wirklich die Bierhefe? Intuition sagt: „Ja”. Warum ging das heute schief? „Na, überleg’ mal.” Ich überlege, und langsam stellt sich das Gefühl ein, dass es mit persönlicher Überforderung und Arbeitsüberlastung zu tun haben könnte. „Sorge für bessere Regeneration und genügend entspannenden Ausgleich, dann regenerieren wir dich, und du kannst Bierhefe bekommen.” Das sagt nicht der Braumeister, sondern meine innere Stimme. Dankeschön, habe verstanden. Eigentlich weiss ich das schon seit Jahren. Aber… – nein, kein aber, fang endlich an, tu den ersten Schritt! Also: früher Feierabend machen, die Arbeit läuft nicht davon, morgen ist wieder ein Tag. Früher losradeln, so dass der Braumeister noch im Haus ist. Mal sehen, was passiert…