Zeitnutzung gespiegelt - mein 17198. Tag


ad we but world enough, and time… – so beginnt ein berühmtes Gedicht von Andrew Marvell, dem großen englischen Metaphysiker der Barockzeit. Recht hat er, sie rieselt uns durch die Hände wie feinster Sand, die Zeit – und selten gelingt es uns, Lebenseindrücke und Erfahrungen in aller Muse und Ruhe zu betrachten.
Wie gehen wir mit den begrenzten zeitlichen Ressourcen des Tages um? Zeitnutzung ist ein wichtiges seelisches Talent, das sich von Entscheidung zu Entscheidung weiterentwickelt – entweder es verbessert sich durch objektiv richtige Entscheidungen, oder es verschlechtert sich durch objektiv falsche Entscheidungen. So ist es mit allen Werten der Seele: entweder wir entscheiden gut, und gehen „bergauf” – oder wir entscheiden falsch, und gehen „bergab”.

Angenommen, Sie treffen heute 100 richtige, und 50 falsche Entscheidungen, dann sind Sie summa summarum deutlich „bergauf” gegangen, Sie machen gute seelische Fortschritte. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht diesen Sachverhalt: das Verhältnis zwischen richtigen (grün) und falschen (rot) Entscheidungen bestimmt den Neigungswinkel der schiefen Ebene, auf der Sie seelisch bergauf oder bergab gehen. Als Formel ausgedrückt:

α =90° *(∑pos/∑gesamt-0.5)*(1+1/((∑pos/∑gesamt)²*(1+(1-∑pos/∑gesamt)²)))

Überwiegen die negativen Entscheidungen, muss ∑pos (die Anzahl der richtigen Entscheidungen) durch ∑neg (die Anzahl der negativen Entscheidungen) ersetzt werden, sowie das Resultat, der entscheidende Winkel α, mit negativem Vorzeichen versehen werden (diese Berechnung ist eine grobe Annäherung; sie berücksichtigt bspsw. nicht, dass jede getroffene Entscheidung zusätzlich spezifischen seelischen Gewichtungsfaktoren unterliegt).

Ein Beispiel zur Zeitnutzung aus meiner Tagesschule: ich muss mich gerade mit (für den Laien) komplexen technischen Grundlagen herumschlagen – mit häufiger Internetrecherche. Je länger ich wesentliche Tätigkeiten warten lasse, desto länger muss ich meinerseits auf Antworten, Feedback, Problemlösungen usf. warten.
Konkret: ich spüre, die Blase ist voll. Ich klebe am Bürostuhl fest, und verschiebe das Wasserlassen, die Pausen, das Verschnaufen. Die Zeit läuft davon, ich kann jetzt nicht! – so denke ich, obwohl der Hunger zur Mittagszeit schon mächtig nagt. Und die Retourkutsche folgt auf den Fuß. Die Internetserver sind überlastet, und liefern nur tröpfchenweise Informationen, wenn ich auf sie zugreifen muss; ich bekomme im Supportforum keine Antwort auf mein Anliegen, Teile meiner Arbeit stellen sich im Nachhinein als überflüssig heraus – die Zeit, die ich gestern verplempert habe, begegnet mir heute vielfach gespiegelt wieder.
Kausale Zusammenhänge, die dazu da sind, mir zu helfen; immer wieder flüstern sie mir leise ins Ohr: „jetzt komm’, es steht etwas anderes an!”
Doch manchmal fühle ich mich wie der Suppenkaspar, der sich mit Händen und Füßen gegen sein Glück wehrt: „Nein – meine Suppe ess’ ich nicht!”

Zeitnutzung heißt, nicht stur zu sein. Wer stur ist, neigt dazu, wesentliche Tätigkeiten zu verschieben. Was aber sind wesentliche Tätigkeiten? Wer sich im Laufe des Tages häufig darum bemüht, zu fragen, was er jetzt wirklich tun sollte, wird immer deutlicher seine Intuition spüren, die ihm klare Anweisungen gibt.




Nachspiel - mein 17190. Tag


ie Kausalkette spinnt sich fort, am gleichen Ort . . . Rückblende: war da nicht das verhinderte Thermalbad nach der Radtour am Sonntag? Freilich – eine Dreiviertelstunde Trödelei, jaja – und nun, einen Tag später, ein erneuter Anlauf: ich habe mich verbessert, um ganze 25 Minuten; bin also nur noch 20 Minuten von der zeitlichen Idealkurve entfernt. 20 wertvolle Minuten, die von den 90 Minuten, die der ermäßigte Schlummertarif den genügsamen Schwaben einräumt, abgehen. 22,2% Regenerationsenergie, die mir fehlen, verdienterweise. Ich hätte die Arbeit früher abbrechen sollen, ich war hundemüde, und habe genau gespürt, wie der Körper nach Vitamin-C lechzte.
Nun gut, ich stehe in der Umkleide und packe meine Utensilien aus. Patsch! Die Badesandalen rutschen aus der Tüte und fallen passgenau vor meine Füße. Mißgeschick! – nichts passiert, klein und unbedeutend, doch will’s mir etwas sagen: „Na endlich ist er da! War auch höchste Zeit! Wir haben dich vor 24 Stunden schon einmal erwartet.”
Ende gut, alles gut – erleichtert und rundumerneuert gehe ich nach Hause, genieße den Duft des Flieders, und lasse meine Seele baumeln.




Getrödelt . . . - mein 17189. Tag


er Begriff „Zeitmanagement” ist in aller Munde. Nicht nur im Beruf, auch im Privatleben wird es immer wichtiger, mit seiner zur Verfügung stehenden Lebenszeit sinnvoll und effektiv umzugehen. Woran kann man erkennen, ob man mit seiner Zeit richtig umgegangen ist? Zum Beispiel daran, ob man im Stau steht – oder in der endlosen Warteschlange an der Warenkasse im Supermarkt; oder an einer geschlossenen Bahnschranke. An einer geschlossenen Bahnschranke??
Gestern: Ausflugstag mit dem Rad. Grobe Zielvorgabe: um 17:00 Uhr zurück zu sein, damit ich noch in Ruhe essen, und den Tag in der Therme entspannt ausklingen lassen kann; der Schlummertarif beginnt dort sonntags schon um 18:30 Uhr. Nachmittags bin ich auf Wegen, die ich noch nicht kenne. Wie weit soll ich fahren? Der Gedanke, dass ich bald zurück muss, ist schon da. Doch da – eine Wandermarkierung weist auf ein Felsenmeer – das klingt interessant. Schau’ ich mir an. Das Meer entpuppt sich dann eher als überschaubarer See, und der Weg zurück zieht sich hin, bergauf, das kostet Zeit. Ich schaue nicht auf die Uhr. Nur keine Hektik. Es wird schon passen. Doch es passt nicht. Ich werde in die Irre geleitet. Ein Waldweg, der an einem Schützenhaus vorbei sich in morastigem Untergrund verliert. Eine Sackgasse, sozusagen. Warum bin ich in einer „Sackgasse” gelandet? Mir dämmert der gestrige Tag: in Gedanken versunken verweilte ich allzu sehr bei den Fehlern, die andere machen. Ich war ein trefflicher Schütze, und hatte jede und jeden im Visier. Die Fehler bei anderen zu suchen – eine seelische Sackgasse. Danke, liebes Schützenhaus, du hast mich wieder auf den richtigen Weg geleitet. Als endlich wieder heimatliche Gefilde auftauchen, schließen sich just, als ich heranbrause, die Schranken des Bahnübergangs. Die Zwangspause nutze ich zu einem vorsichtigen Blick auf die Uhr. Viertel vor sechs – eine Dreiviertelstunde zu spät. Was tun? Kein Problem, das Thermalbad lasse ich nicht sausen. Meinen Wolfshunger stille ich fürs erste mit einem Krafttrunk aus Frischgemüse und feingemahlenem, angekeimten Emmer, und setze das Abendessen auf. Meine Idee: kurz aufkochen, ausschalten, und unter dicken Tüchern ziehen und ausquellen lassen bis nach dem Thermalbad. Es ist Zeit zu gehen. Habe ich die Badehose? Das Handtuch? Nicht vergessen, den Herd auszuschalten! Ich ziehe die Schuhe an. Habe ich die Eintrittskarte? Ich springe davon. Den Berg hinunter. Habe ich den Herd ausgeschaltet? Siedendheiß kommt die klare Antwort: „Nein!” Da haben wir den Salat. Ich muss zurück. Thermalbad ade – wir müssen scheiden. Wer nicht hören will, muss leiden. Ich quäle mich den Berg hinauf, Schritt für Schritt, ohne Energie; denn die ist verbraucht, eine Dreiviertelstunde zuviel. Ich stürze mich auf den Topf. Aaaah! Jetzt kommt verbrauchte Energie zurück – welch ein Glück!