Zum besseren Verständnis des nun folgenden empfiehlt es sich, zuerst Teil I dieser Abhandlung (• Die Geschichte mit der Acht, Teil I •) zu studieren.
rau ist alle Theorie, erinnern wir uns. . . doch nun zur Praxis. Ohne Übung geht es nicht, und Meister fallen für gewöhnlich nicht vom Himmel; ganz im Gegenteil, sie gehn getreu den umgekehrten Weg, der naturgemäß sehr viel beschwerlicher ist. Die Spirale aus Teil I grüßt stumm und lächelnd uns zurück, auch wenn sie ungerührt – doch um so mehr vollkommen unbeirrt – den ehernen Gesetzen, die sie schufen, folgt.
Dess sollten wir auch uns befleißigen, an jedem neuen Tag:
dem Lauf des Lebens
achtsam folgen, um mit des Kindes Neugierde den Dingen, die um uns herum – und was doch noch viel wichtiger ist – in unsrer Innenwelt geschehen, auf den Grund zu gehen; denn alles hier hat seinen Grund, und jede Wirkung seine Ursache!
Rudolf Steiner (1861 – 1925), dessen unkonventionellen Erkenntnisse und darauf aufbauenden Empfehlungen für viele Zeitgenossen damals, vor nunmehr rund einhundert Jahen, „Steine des Anstoßes” waren, hat das wachsame Beobachten der alltäglichen Kausalkette klar und prägnant als Übungsweg zur geistig-spirituellen Schulung empfohlen. In Steiners Begrifflichkeit stärkt dieser Übungsweg das „Freiwerden des Ätherleibs” (Ätherleib == Aura). Das Üben selbst erfordert drei zusammenhängende Schritte (nach Rudolf Steiners Ausführungen zum Thema der „Imagination”):
- Den Dingen der äußeren, physischen Welt (Vorgänge, Menschen, Erscheinungen) so genau wie irgend möglich auf den Gund gehen.
- Sich ganz den in der Seele aufsteigenden Gedanken, Gefühlen, und vor allem Bildern hingeben.
- Die inneren Bilder in scharf konturierte Begriffe fassen.
»Voilà, da ham’ wir sie!«
Die Tagesschule . . . sehen, was läuft!
»Tagesschule wach erkennen,
Prüfungen beim Namen nennen,
Spieglein, Spieglein in der Hand . . .
. . . hast Du heute Dich erkannt?«
Auch wenn der Begriff der „Tagesschule” unserer heutigen Zeit entnommen ist, so lässt er sich doch kaum treffender umschreiben, als Rudolf Steiner es in obigen drei Punkten getan hat. Rudolf Steiner brachte mühsam Stein um Stein ins Rollen – doch erst heute, hundert Jahre später, erwacht im Bewusstsein vieler Menschen das Bedürfnis geistig-seelischer Schulung. Der Boden ist bereitet, und wenn auch alle Übergänge in der geistigen Entwicklung der Menschheit fließend verlaufen, so markiert das Jahr „2012” hier einen Neubeginn.
Eine unserer wesentlichsten Aufgaben in dem erwachenden „spirituellen” Jahrtausend ist es, den Begriff der „Tagesschule” (un)endlich tausendfach zu prägen, und ihn mit allen Facetten des Lebens zu füllen – denn das gesamte Universum investiert sehr viel Energie in die Tagesschule derjenigen Menschen, die sich seelisch entfalten wollen. Das Forum Tagesschule . . . sehen, was läuft! (im Aufbau) soll in den kommenden Jahrzehnten diese Menschen zu gemeinsamem Lernen und seelischem Austausch zusammenführen.
»Willst Du ein Tagesschüler werden, was ist zu tun, konkret, auf Erden?«
Da wir seelische Entwicklungsprozesse im allgemeinen nicht unmittelbar erfassen können, ist es sinnvoll, uns für jeden Tag ein seelisches Thema vorzunehmen, das uns bei allem, was an äußeren Erlebnissen und Gedanken den Tag über auf uns einströmt, begleitet. Ich habe mir zu diesem Zweck 44 Kärtchen angelegt, auf denen jeweils ein Schwingungsband der Seele steht. Am Abend, wenn der neue Tag schon längst bereitet ist, mische ich den Stapel durch, und ziehe ein Kärtchen. »Oho! Liebevoll sein! – Na, da kann ich ja mal gespannt sein . . . « Wer mag, kann sich das Kärtchen unter das Kopfkissen legen .
Die Nacht ist vorüber. Ich sammle meine Gedanken. Was steht an? Was sind meine Wünsche für den Tag? »Liebevoll sein!« Ich möchte mehr darüber lernen, und mich in meiner Tagesschule erkennen.
- Da steigen Bilder in mir hoch – ich sehe mich, wie ich mir am Vortag ein grünes Getränk aus Weißdornblättern zubereitet habe. Interessant! Weißdorn stärkt das Herz, ein Weißdorngetränk macht herzlicher, und hilft mir somit, liebevoller zu werden.
- »Los jetzt!« Ich muss heute Aufnahmen in einem Kindergarten machen, die Zeit drängt. »Husch, husch«, verkürztes Morgenprogramm, angespannt schwinge ich mich auf’s Rad. Es zieht sich, die veranschlagte halbe Stunde reicht nicht aus, ich komme 15 Minuten später an, als vereinbart – verschwitzt und außer Atem.
- Wenn’s nach mir ginge, könnte es jetzt losgehen, doch es sind noch lange nicht alle Kinder da. Die Aufnahmen sind außer Haus, im Gemeindehaus neben der Kirche. »Ich gehe schon mal voraus!«, sage ich zur Kindergartenleiterin, und marschiere los. Selbstvorwürfe. Ich bin sauer. Und mein Körper, der schmerzt und brennt. »Warum hast Du dich so verausgabt?« Ich erkenne den Spiegel. Gestern zu lange gearbeitet. Übersäuert. Verpuffte Lebensenergie. »Liebevoll sein?« – »Ja, ja, ich weiß schon, bei mir selbst beginnen . . . « – »lasst mich bloß in Ruh!« denkt das Teufelchen in mir.
- Ich stehe vor dem Gemeindehaus, frustriert. Da ist ein Verlangen in mir, in die kleine Dorfkirche einzutreten. Drei Eingangstüren sind zu sehen. Die erste – verschlossen – die zweite – verschlossen – »Natürlich, wenn man mal eine Kirche braucht, dann ist sie verschlossen . . . « (ein übersäuerter Körper zieht saure, negative Gedanken an, logisch, oder?) – die letzte Tür – offen! Ich trete ein.
- Eine angenehme Stille und Kühle umfängt mich. Es gluckst in meinem Bauch. Der ganze Körper beginnt, sich zu entspannen. Druck fällt von meinen Schultern. Ich werde ruhig, und fühle mich geborgen. Die Kirche ist schön, wunderbar schlicht und einfach. Eine Patina hüllt alles ein, wie eine Aura. Es riecht nach altem Holz und Bohnerwachs. Blumhardt hat hier einst Wunder gewirkt, liebevoll heilend und segnend. Immer noch atmet sein Geist. Das tut gut. Endlich kann ich wieder „Danke” sagen – und es auch so empfinden. Als ich die Kirche verlasse, trudeln gerade die Kinder ein. Fröhlich sind sie, begrüßen mich mit kindlicher Unbefangenheit, und nehmen mich an den Händen . . .
- Nachdem das letzte Lied im Kasten ist, gibt’s wohlverdiente Vesperpause. »Hurra!« – die Kinder machen sich mit knurrendem Magen auf den Weg zurück in den Kindergarten. Ich packe meine Gerätschaften zusammen, und wenig später bin ich wieder vor Ort. Ich platze zur Tür herein – und – wage kaum zu atmen: eine hohe, heilige Schwingung durchflutet den Raum. »Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von Dir, hast auch unser nicht vergessen, lieber Gott wir danken Dir. Amen!« Alle Kinder, gleich welcher Nationalität, gleich welcher Hautfarbe, haben mit gefalteten Händen mitgesprochen. Es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Schweigend verzehren die Kinder, was sie von zu Hause mitgebracht haben. Wie ein warmer Strahl gehen Liebeswellen durch mich hindurch . . .
- Nach der Pause geht es weiter, heiter, fröhlich, ungezwungen. Es zieht sich. Endlich sind auch die Fotos gemacht. Es heißt Abschied nehmen. Die letzten Kinder werden abgeholt, sie winken noch einmal. Mir haben sie geholfen, mit mir selbst wieder ins Reine zu kommen. »Und tschüss!« Es ist schon spät, quälender Hunger treibt mich nach Hause.
- Ein hochwertiges Mittagessen ist jetzt Pflicht. Priorität eins. Wie sollte ich liebevoller werden, wenn ich’s nicht zu meinem Körper bin? Also, Linsen in den Topf, Rohkost auf den Teller. Und viel Avocado. Balsam für die Nerven. »Mmmmmmmmmh!«, das flutscht. Ein Aufkleber ziert die Avocado. Oft schon habe ich diese Sorte eingekauft. Oft schon habe ich den Aufkleber entfernt, und jedesmal habe ich mich über den Namen gewundert: „HASS”- Avocados, warum nur? Liebevoll sein, „HASS”- Avocados essen? Das rote Blut der schwarzen Sklaven ist auf dem Aufkleber verewigt. Ich starre ihn an. Wie sagte Rudolf Steiner? „Hinter allem Materiellen ist Geistiges, auch hinter der Nahrung . . . Wir treten durch die Ernährung durch dieses oder jenes materielle Substrat in Beziehung zu diesem oder jenem Geistigen, das dahintersteckt.” Nichtsdestotrotz – die Avocado mundet herrlich. »Vollreif, ein Geschenk!« Sie tut mir nichts zuleide, ganz im Gegenteil. Ich esse sie mit besonders liebevollen Gedanken, streichle und tröste sie in meinem Bauch. Ein Akt der Wiedergutmachung, den ich nur empfehlen kann. Irgendwann wird sich der Aufkleber verändern dürfen. Davon bin ich überzeugt . . .
Solch ein Tag ist schnell vorbei – eine Kreisumrundung auf der Spirale, die dem Licht entgegenführt. Mannigfache Lernanreize, Denkanstöße und Prüfungen verbergen sich in ihm, denn jeder Tag wird für uns individuell mit unvorstellbarer Präzision und Sorgfalt geplant. Wenn ich dann abends den vergangenen Tag wie einen Film noch einmal an mir vorüberziehen lasse, so hat das Bild, das ich von mir selber habe, ein klein wenig schärfere Konturen bekommen – und ist nicht mehr ganz so verzerrt wie gestern noch. Doch das Schönste daran ist: mit meinen 44 Karten weiß ich ganz genau, was ich gelernt, und wo ich mich verbessert habe. Heute war es „liebevoll sein”, und morgen? Jeden Tag ein anderes Thema. Du hast die Wahl! Jeden Tag ein anderes Schwingungsband, das sich verbessert und mehr Energie bekommt. Die Aura wird harmonischer; sie intensiviert sich und beginnt zu strahlen. Einzig Lernen macht meine Seele glücklich, das habe ich inzwischen begriffen, auch wenn es manchmal weh tut. Wir wissen es: „Steter Tropfen höhlt den Stein, bis der Kern wird sichtbar sein.”
Ergo: erinnern wir uns an den Titel dieses Beitrags – „Die Geschichte mit der Acht” – achtsam die Schule des Tages beobachten, achtsam mit sich selbst und seinem Körper sein – das ist die eine Seite der ominösen „8”. Die andere Seite erschließt sich uns erst, wenn wir uns bemühen, diese „8”-samkeit beständig in die Tat umzusetzen, und unsere Tagesschule erkennen. Die „8” wird wendig, und neigt sich, bei entsprechender Wunschkraft, mehr und mehr in die Horizontale! So wird aus der gewöhnlichen „8” die geheimnisvoll liegende „∞”, das mathematische Symbol der Unendlichkeit.
∞
Chorus Mysticus
»Ewig schwingend,
sich umschlingend,
schließt die Seele
Band um Band.«
~»Was getrennt war,~
~unvereinbar,~
nahmst Du achtsam
an die Hand.«
»Neugeboren!
Auserkoren!
Tritt herein,
in heilges Land . . . «
» . . . denn nun geht
nie mehr verloren,
was einst nur
auf Zeit bestand.«
∞
Wir werden niemals an ein Ende gelangen, wenn wir uns dafür entscheiden, seelisch zu lernen. Keine Angst! Langweilig wird es auch nie sein – denn das Erforschen kausaler Zusammenhänge erfüllt uns mit dauerhafter Freude. Es verbessert unsere seelische Intelligenz, und Hand in Hand damit schwingt unsere Seele mit mehr Energie, weil sie ständig etwas Neues dazu lernt. Bemühen wir uns um die beschriebene Art der Seelenschau, so wird jeder Tag, den wir erleben dürfen, zu einem Mosaiksteinchen im Spiegelbild unserer Persönlichkeit, bis wir uns eines Tages vollständig erkannt haben – und erst dann werden wir sein, wer wir in Wahrheit sind.
»Kausalität statt Banalität!« – »Erkenne Dich!«
Lass die oberflächlichen Ablenkungen des Lebens hinter Dir, und tauche in die unbekannten Tiefen Deines Daseins ein! Das Licht, nach dem Du Dich so sehnst, wird Dich auch auf dem tiefsten Grund, in Finsternis und Dunkelheit noch sicher führen, bis endlich jene Lebensfluten, die kraftvoll Dir entgegenströmten, alles Grobe, Gemeine, und Verletzende von Deiner Seele abgewaschen haben. »Weiter! Immer der Quelle zu!« Nur so bereitest Du in Dir den Boden, auf dem dauerhafte Freude und – mit viel Geduld und Tapferkeit – die Fähigkeit zu echter, seelischer Liebe heranwachsen dürfen.
♥